„La Passione del Tirolo”: eine umstrittene Veröffentlichung
Die Quelle des Monats Februar 2021 befasst sich mit der Geschichte der Veröffentlichung des von Karl von Grabmayr 1919 herausgegebenen Buches “La Passione del Tirolo” in Italien. Die Initiative führte zu heftiger Kritik an Luigi Credaro, dem Hauptvertreter der italienischen Regierung in Trentino und Südtirol.
Im Sommer 1920 veranlasste Luigi Credaro (1860-1939), Zivilkommissar der Venezia Tridentina, (diese umfasste ungefähr die heutige Region Trentino-Südtirol), die Übersetzung und Veröffentlichung des Buches Südtirol: Land und Leute vom Brenner bis zur Salurner Klause in Italien. Das Buch, von dem damaligen Präsident des Verwaltungsgerichtshofes in Wien, Karl von Grabmayr (1848-1923), herausgegeben, war 1919 in Berlin erschienen. Es enthielt leidenschafliche Beiträge von mehreren deutschsprachigen Wissenschaftlern und Intellektuellen, die um das Schicksal von Südtirol besorgt waren. Die bei weitem nicht selbstverständliche Initiative, das Buch zu übersetzen, entstand aus Credaros Wunsch heraus, die Stimmungslage in Südtirol den Italienern zu vermitteln.
Credaro war bei den italienischen Nationalisten unbeliebt, nicht nur wegen seiner Liebe für die deutsche Kultur, sondern auch seiner Vermittlungspolitik wegen. Diese versuchte er seit Sommer 1919 zu verfolgen, als er dem General Guglielmo Pecori Giraldi (1856-1941) in der Landesverwaltung nachfolgte.
Credaro hatte persönliche Kontakte zu von Grabmayr, für den er tiefen Respekt hegte. Die Tatsache, dass er das Buch veröffentlichen wollte, heißt natürlich nicht, dass er antiitalienische Standpunkte vertrat, oder dass er gegen den Anschluss Südtirols an Italien war. Credaro war ein italienischer Staatsmann und Patriot, nichtsdestotrotz wollte er, dass die Italiener den Blickwinkel der Südtiroler über den Anschluss wahrnahmen.
Bevor er den Druck des Buchs anordnete, beschloss Credaro sich mit der Regierung zu beraten. Das Verlagsprojekt fand die volle Zustimmung des Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti, der vielleicht mehr aus Oberflächlichkeit als aus Überzeugung, Credaros Idee, die Stimmung der neuen Mitbürger in Italien zu vermitteln, als “gut und nett” (“buona e simpatica”) bezeichnete.
Der Band erschien mit dem überladenen Titel La passione del Tirolo innanzi all’annessione (“Die Tiroler Passion/Leidenschaftvor dem Anschluss”) im Herbst 1920, gerade in jenen Tagen, in denen das italienische Reich die endgültige und offizielle Annexion Südtirols feierte. Credaro hatte lange über den Titel nachgedacht und um die fehlende Objektivität des Buchsinhaltes zu unterstreichen, kam er zu einer Fassung, die später, entgegen seiner Absicht, den Sarkasmus und die Verachtung italienischer Kritiker provozieren sollte, vor allem wegen des Verweises auf das Leiden der Südtiroler.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: In den nationalistischen Kreisen wurde Credaros Initiative als deutschfreundliche Provokation missbilligt.
Die Veröffentlichung vom Grabmayrs Buch führte in Italien zu keinem besseren Verständnis über die Stimmung der neuen Mitbürger. Stattdessen kam es zu einer Protestkampagne mit zahlreichen Artikeln in den nationalen und lokalen Tageszeitungen gegen Credaros Initiative. In einigen Fällen richtete sich der Protest nicht nur gegen den “gefährlichen Band”, sondern er mündete in eine Kritik an Credaros Politik und an seiner Person.
Die Entscheidung, am Ende des Buches auch das Autonomieprojekt des Deutschen Verbandes zu drucken, wurde strikt abgelehnt und als Respektlosigkeit den Trentinern gegenüber interpretiert, die noch keine Zusicherung in Bezug auf ihre Selbstverwaltungsbestrebungen erhalten hatten.
In der Presse wurde auch das Bild auf dem Buchumschlag kritisiert: Ein gebrochenes Herz stellte Tirol dar, an der Alpengrenze gespalten, die wie eine Dornenkrone aussah. Einige Journalisten klagten an, dass das Bild nichts anderes als die Reproduktion einer illustrierten antiitalienischen Propagandakarte sei, die später in der Tiroler Hauptstadt erschien.
Mit diesem Buchprojekt hatte Credaro mit einer gewissen politischen Naivität versucht, in Italien den Standpunkt und die Sichtweisen der Südtiroler bekannt zu machen. Dies geschah wahrscheinlich aus der Überzeugung heraus, mit dem Buch zu einem besseren Verständnis von Seiten der Italiener beitragen zu können. Aber die Initiative hatte ein ganz anderes Ergebnis: Statt eine Empathie bei seinen Landsleute hervorzurufen, zog Credaro die Verachtung und die Vorwürfe der Nationalisten auf sich. Das bedeutete jedoch nicht im Umkehrschluss, dass er dadurch mehr Vertrauen in Südtirol gewann.
Credaro wird noch heute von der Geschichtsschreibung kritisiert, die gelegentlich den Zivilkommissar als einen Mann mit wenigem Zivilcourage beschreibt. Die Angelegenheit der Veröffentlichung von der Passione del Tirolo kann aber dazu beitragen, Credaros Bemühumgen zu beleuchten, eine Gleichgewichtsposition zwischen den starren Haltungen der beiden entgegengesetzten Nationalismen aufrechtzuerhalten.
Literaturhinweise:
Südtirol: Land und Leute vom Brenner bis zur Salurner Klause, herausgegeben von Karl von Grabmayr, Berlin, Ullstein, 1919.
La passione del Tirolo innanzi all'annessione: con l'aggiunta del progetto d'autonomia presentato al governo italiano dalla Lega Tedesca (Deutscher Verband), Vorwort von Luigi Credaro, Milano, Vallardi, 1920.
Über Luigi Credaros Leben siehe die Online Biographische Enzyklopädie “Treccani”: https://www.treccani.it/enciclopedia/luigi-credaro_%28Dizionario-Biografico%29/ (Stand: 8. Februar 2021)
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Magda Martini
Historegio-Projekt: "Italien, Südtirol und der Pariser Frieden 1919: politische Haltungen, diplomatische Strategien und öffentlicher Diskurs".
Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte - Freie Universität Bozen
Kontakt: magda.martini@unibz.it
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