Die Frauen in der „großen nationalen Exkursion [...] von den Dolomiten bis zum Brenner”
Die Quelle des Monats August 2021 stellt eine Zeichnung dar, die eine Szene der „nationalen Exkursion“ „von den Dolomiten bis zum Brenner“ zeigt, die der italienische Alpenverein CAI zwischen dem 14. und 20. September 1921 organisierte. Dieses Bild bietet uns den Anlass, über das Thema der Frauen in der Welt des italienischen Alpinismus von vor einem Jahrhundert nachzudenken.
Dem in 1863 in Turin gegründeten Club Alpino Italiano (CAI) waren Themen des Patriotismus und des Irredentismus nie fremd gewesen, welche stets eng mit den alpinistischen Interessen verbunden waren. Mit der Organisierung von „nationalen Exkursionen“, die viele Italiener in die Berge des Vaterlandes brachte, trug der CAI zur Bildung einer nationalen Identität bei.
Die Exkursion „Von den Dolomiten bis zum Brenner“ am Ende des Sommers 1921 hatte erstens einen großen propagandistischen Wert für die etwa 500 Personen, die die Berge Südtirols zu günstigen Preisen und Bedingungen erreichen konnten. Dank einer sorgfältigen Kombinierung von speziellen Schienen- und Straßenfahrzeugen konnten die Teilnehmer in einer Woche so viele Orte besichtigen, die normalerweise nur in drei Wochen erreicht werden konnten. Der Preis betrug 175 Lire statt 11.000, die ein Einzelreisender für eine ähnliche Exkursion bezahlt hätte. Zweitens verdiente die Exkursion eine vorrangige Rolle in der ideellen Aneignung von Südtirol, dank der Schirmherrschaft der mailändischen liberalen Zeitung „Corriere della sera“, welche monatelang das patriotische Vorhaben der Initiative unterstrich. Aus Anlass dieser Exkursion redete man vom Juli bis September im „Corriere“ über Südtirol. Diese Kampagne verlagerte die politischen Probleme des Anschlusses kurz in den Hintergrund, die seit der sogenannten Bozner Blutsonntag die Journalisten der „Corriere“ beschäftigten.
In der Zeichnung von Achille Beltrame (1871-1945), die in der illustrierten Wochenzeitung „Domenica del Corriere“ am 2. Oktober 1921 erschien, wird die Wanderkolonne darstellt, als sie sich am Fuße des Rosengartens befindet. Von einem ikonographischen Standpunkt aus betrachtet, fällt der Fokus auf eine Frau mit roter Jacke und Mütze, die gerade in der Mitte des Bildes steht und die der Betrachter von hinten sieht. Die Entscheidung, im Mittelpunkt des Bildes gerade eine Frau zu porträtieren, scheint nicht zufällig gewesen zu sein. Schon in den ersten Artikeln über die Vorbereitungen der Exkursion wurde dem – für die italienische Tradition unüblichen – Thema der Beteiligung von Frauen am Bergsteigen Raum gewidmet. Indem sie die patriotische Initiative förderten, wurden die Journalisten, vielleicht entgegen ihrer Absicht, in diesem Zusammenhang auch zu Förderern einer weiblichen Sportkultur.
Am Anfang Juli hatte der „Corriere“ die Frauen aufgefordert, sich für die Exkursion anzumelden, weil sie als sehr willkommene Gäste den Ehrenplatz in dem Marsch und die Schlafplätze in den elf Hütten der Wanderung bekommen würden, während die Männer in den Zelten übernachten müssten. Die Zeitung kümmerte sich auch darum, den „Damen“ einige detaillierte Hinweise für die richtige Ausrüstung, die sie mitzunehmen hätten, zu vermitteln:
„Es gibt keinen Grund, Stöckelschuhe zu missbilligen. Die Schuhlein sollten ein wenig vernagelt sein und breite Absätze haben. Keine Seidenstrümpfe… natürlich, sondern Wollstrümpfe, weil die Luft mit 3000 Metern nicht galant ist und sticht. Die Bekleidung sollte aus einer Stoffjacke und einem gemütlichen Rock bestehen. Unter dem Rock sind Stoffhosen empfehlenswert, welche Alpinisten regelmäßig tragen. Für den Kopf ist eine Wollmütze und ein Schleier am besten geeignet. Selbst mit einer Mütze sind die feinen Gesichter anmutig anzusehen. Die Damen sollten eine eigene Tasche mitbringen, in die sie ihre Schüssel, Tasse, das Geschirr, Rauchgläser und ein wenig Creme unterbringen: Gläser und Creme sind für das ‚Zwiegespräch‘ (Tête-à-Tête) mit den Gletschern hilfreich. Und schließlich ein beschlagener [Wander-]Stock. Es stimmt, dass die Damen sich an ihren Kavalier anlehnen können werden, aber nicht jeder Kavalier wird in der Lage sein, sich selbst und die Dame zu unterstützen.“
Auch in der Erzählung der „Heldentaten“ der Wanderer, die Otello Cavara für die Zeitung schrieb, nahmen die Frauen eine zentrale Rolle ein: Er erzählte, dass es in der Gruppe der Toskaner eine Dame gab, die so locker die harten Mühen mit leichtem Gang überwand, dass sie „Mücke“ genannt wurde. Aber alle Frauen, einige mit Hosen an und in Führung der Seilschaft, hatten eine wunderbare Haltung, da sie über „ausgezeichnete Beine, von einem alpinistischen Gesichtspunkt aus“, verfügten.
Die „große nationale Exkursion“ scheint eine Gelegenheit geboten zu haben, einige der Stereotype zu überwinden, denen zufolge die italienischen Frauen üblicherweise am Fuß des Berges die Rückkehr der männlichen Alpinisten abwarteten. Bezeichnend war der Kommentar von Cavara, der erzählte, dass die Organisatoren bei der Vorstellung des Ausflugsvorschlags allen Teilnehmern einen „Damenschritt“ versprochen hatten und dass die Damen im Gegenzug „einen Männerschritt einhielten, was einige der Männer selbst in Verlegenheit brachte“.
Literaturhinweise:
P. Grupp, Faszination Berg. Die Geschichte des Alpinismus, Köln et. al. 2008.
S. Morosini / A. Pastore, L’alpinismo al femminile, “Olimpia”, N.1 Juni 2017, SS. 49-70.
O. Cavara, Dalle Dolomiti al Brennero. La carovana nazionale verso i ghiacciai delle Breonie, “Corriere della sera”, 18. September 1921.
Dalle Dolomiti al Brennero. Le prime 350 iscrizioni. Una larga partecipazione di signore. L'equipaggiamento e l'allenamento degli escursionisti, “Corriere della sera”, 9. Juli1921.
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Magda Martini
Historegio-Projekt: "Italien, Südtirol und der Pariser Frieden 1919: politische Haltungen, diplomatische Strategien und öffentlicher Diskurs".
Kompetenzzentrum für Regionalgeschichte - Freie Universität Bozen
Kontakt: magda.martini@unibz.it