Und schlussendlich entkeimte aus den Konflikten die Europäische Union
„Das Jahr 1914 markiert nicht nur den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, sondern schließt auch definitiv die alte Welt des 19. Jahrhunderts ab und beschreitet auf dramatische Weise den Eintritt in das neue Jahrhundert. Mehr noch: Im Jahr 1914 beginnt auch der so genannte „Dreißigjährige Krieg des 20. Jahrhunderts” oder, wenn wir so wollen, der “Europäische Bürgerkrieg”. Zwei Weltkriege verursachen Millionen von Toten, wobei die Technologie zum Dienste des Massenmords eingesetzt wird und die bisher gekannte Welt und ihr geopolitisches Gleichgewicht in einer völlig neuen Art und Weise gestaltet wird. Dieser bis dahin beispiellose blutige Schmelztiegel führte zu neuen Überlegungen und zu politischen Aktionen, welche schlussendlich zur europäischen Einigung führten. Ein Projekt, dessen Hauptziel die Verhinderung weiterer Konflikte war und uns tatsächlich eine lange Zeit des Friedens geschenkt hat.
Wenn wir uns heute noch mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen, kann das hilfreich sein über diese immense Tragödie nachzudenken. Eine Tragödie, die indirekt zum Integrationsversuch geführt hat, von dem heute in erster Linie die Widersprüche und Schwächen hervorgehoben werden. Aber angesichts der geschichtlichen Fakten würde dieses unbestreitbare Ergebnis der Integration aus jetziger Sicht ein Umdenken verdienen und vielleicht sogar einen Neuanfang, der auf einem besseren Fundament aufbaut.
Überlegungen von Andrea Di Michele, Historiker des Zentrums für Regionalgeschichte der Freien Universität Bozen.
(Glückwunschkarte der damaligen Zeit, aus der Privatsammlung der Familie Bertoldi)
Wusstest du, dass ...
... der Krieg das Leben von Kindern und Jugendlichen in großem Maße veränderte?
Die schlechte Ernährungslage, die schwere Arbeit am Hof, bedingt durch das Fehlen der männlichen Arbeitskräfte, prägten die Kindheit. In Frontnähe war die Zeit des Krieges für Kinder und Jugendliche noch um vieles schlimmer. Durchziehende, verletzte oder plündernde Soldaten, Flüchtlinge und Kanonendonner hinterließen oft traumatische Erinnerungen. War das Leben auf dem Land auch vor Beginn des Krieges schon mühsam, arbeits- und entbehrungsreich, verschlechterte sich die Situation mit Verlauf des Krieges noch einmal deutlich. In bisher unbekanntem Ausmaße wurden die Kinder für Kriegszwecke missbraucht. Viele verloren ihre Väter und Brüder im Krieg und wurden in die Rolle des Familienoberhauptes gezwungen. Als meist schlecht ausgebildete Standschützen wurden ab 1915 viele junge Burschen in das direkte Kampfgeschehen an der Tiroler Front geschickt. Viele kehrten nicht mehr nach Hause zurück.
... auch Kinder und Jugendliche "Kriegsarbeit" leisten mussten?
Die Arbeitskraft der Kinder in der Landwirtschaft aber auch im Haushalt war unabkömmlich. Die Männer waren an der Front und das Aufrechterhalten der bäuerlichen Existenz sowie die Verpflegung der Familie lagen auf den Schultern der Frauen, der Alten und der Mädchen und Jungen.
Dass Kinder und Jugendliche ihren Teil zur Erhaltung der Familie beitragen und bei der Bewirtschaftung des Hofes mithelfen mussten, sah auch die Schulverwaltung bald ein. Ortsschulräte hatten das Recht, Kinder, welche zu Hause dringend als Arbeitskräfte gebraucht wurden, für die gesamte Dauer des Krieges von der Schulpflicht zu entbinden.
.... Schülerinnen Socken für Soldaten strickten?
Die Handarbeit der Frauen und Mädchen war im Ersten Weltkrieg ein großer und unentbehrlicher Beitrag an der Heimatfront. Kleider wurden genäht und geflickt, Handschuhe, Pulswärmer, Wollsachen aller Art gestrickt.
Auf regionaler Ebene gibt es genaue Auflistungen über die in den Schulen gefertigten Stricksachen und gesammelten Materialien. In Taufers im Pustertal zum Beispiel wurde stolz über die fertig gestellten Kleidungsstücke und gesammelten Dinge Buch geführt.
„Die Schüler unserer Schule leisteten für den Krieg bedeutendes: Es wurden 2 große Kisten mit insgesamt 80 kg Bedarfsartikel für die Soldaten gesammelt. Die Mädchen strickten im Winter 1914-1915: 145 Paar Socken, 25 Wadenstutzen, 82 Schneehauben, 40 Paar Pulswärmer, 8 Paar Kniewärmer, 3 Paar Fäustlinge, 1 Leibbinde und zupften eine Menge Wundfäden für die Soldaten; 3 große Säcke voll Erdbeer- und Brombeerblätter wurden von den Schülern gesammelt. Sie sammelten auch Metalle, Wollreste und Kautschuk. An Geld wurde gesammelt für das Rote Kreuz, für Kriegswaisen, Witwen und Waisenhilfsfond insgesamt 64 K. Ende November 1915 wurden 80 Karton Liebesgaben für Weihnachten abgeschickt." (Vgl. Feichter, Josef: Tauferer Schul- und allgemeine Chronik, Mühlen 1984, S. 37.)
Texte von Mag. Beate Auer, Universität Innsbruck
…die einberufenen Soldaten erst durch Plakate erfuhren, wohin sie geschickt wurden?
Die allgemeine Mobilmachung fand zwischen 31. Juli und 1. August 1914 statt: mittels Plakaten berief Kaiser Franz Josef alle Männer zwischen 21 und 42 in die österreichisch-ungarische Armee ein. Tausende von Trentinern wurden einem der vier Regimenten zugeteilt: den Kaiserjägern der Gemeinsamen Armee, den drei Gebirgsheeren, den Landesschützen und dem Landsturm.
Während des Krieges wurde die Wehrpflicht auf alle Männer zwischen 18 und 50 ausgeweitet. Aus dem Trentino zogen 60.000 Männer als Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee in den Krieg; ein Fünftel von ihnen kam im Krieg um. Etwa 700 Trentiner kämpften freiwillig an der Seite Italiens.
…Galizien eine Region in der heutigen Ukraine und Polen ist?
Der Großteil der Trentiner Soldaten wurde an die Ostfront geschickt. Im Zug wurden sie nach Galizien gebracht, einer armen Region im Süden des Reiches, die heute in Polen und der Ukraine liegt. Lemberg (Lwòw in Polnisch) war die Hauptstadt Galiziens; Krakau (Krakòw) die zweitgrößte Stadt. Gemeinsam mit der Stadt Przemyśl waren diese Städte wichtige strategische Orte zur Verteidigung gegen drohende Angriffe der Russen, aber auch für Offensiven gegen das Zarenreich.
…die Trentiner in österreichisch-ungarischen Uniform gegen die Russen kämpften?
Im August 1914 verwandelte sich Galizien in ein riesiges Schlachtfeld. Das österreichisch-ungarische Heer kämpfte hier gegen die russische Armee. Nach einem Vorstoß auf Galiziens Hauptstadt Lemberg musste sich Österreich-Ungarns Heer aufgrund der russischen Übermacht im September in die Karpaten zurückziehen. Die Stadt Przemyśl diente den österreichisch-ungarischen Truppen von November 1914 bis zur Einnahme durch russische Truppen im März 1915 als letzte Festung. Im ersten Kriegsjahr verlor Österreich-Ungarn fast 994.000 Soldaten; die russische Armee mehr als eine Million. 15.000-20.000 Tiroler italienischer Muttersprache wurden von den Russen gefangen genommen.
Ausstellung:
In der Galleria Bianca von Piedicastello können zwei Ausstellungen zum 1. Weltkrieg besichtigt werden: "Die Trentiner im Krieg 1914-1920» und «Festungsstatt – Trient 1915-1918».
Geöffnet Dienstag-Sonntag 9.00 - 18.00, freier Eintritt.
www.museostorico.it
Buch:
I dimenticati della Grande Guerra – La memoria dei combattenti trentini (1914 – 1920) von Antonelli Quinto.
... Tirol von Lebensmittelimporten abhängig war?
Tirol war zwar landwirtschaftlich geprägt, aber dennoch konnte die eigene Bevölkerung nicht ausreichend mit Lebensmittel versorgt werden. Das lag zum Einen daran, dass in Nordtirol vor allem Forst- und Weidewirtschaft und in Südtirol Wein- und Obstbau betrieben wurden. Wichtige Grundnahrungsmittel wie Getreide, Kartoffeln oder Mais wurden hingegen in sehr geringen Mengen angebaut. Deshalb war Tirol abhängig von Importen aus anderen Regionen der Monarchie (v.a. Ungarn und Galizien) bzw. aus dem Ausland.
Mit Kriegsbeginn verhängten die Alliierten eine Wirtschaftsblockade und schnitten Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich somit von diesen dringend benötigten Importen ab. Aber auch die Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel innerhalb Österreich-Ungarns gestaltete sich problematisch. Tirol litt dabei besonders unter der Tatsache, dass es am äußersten westlichen Rand der Monarchie lag – die Transportwege waren also besonders lang.
Dies hatte zur Folge, dass praktisch mit Kriegsbeginn ein großer Mangel an Lebensmittel herrschte. Das beeinträchtige den Alltag der Menschen massiv. Es wurden Lebensmittelkarten eingeführt, um eine halbwegs gerechte Aufteilung der Lebensmittel zu gewährleisten. Der Staat legte dabei auch fest, wie viel Nährwert einer Person pro Tag zustand und welche Mengen eines bestimmten Nahrungsmittels diese Person erwerben konnte. Aber selbst diese – oftmals sehr geringen – Quoten konnten nicht immer gekauft werden, weil die Lebensmittel einfach nicht aufgebracht werden konnten. Frühes Aufstehen und stundenlanges Ausharren in Warteschlangen wurde deshalb zu einem Symbol der schlechten Versorgungslage.
... dem Brot Sägemehl beigemischt wurde?
Um den Mangel an vielen Grundnahrungsmitteln etwas entgegenzuwirken, wurde buchstäblich überall nach Ersatz gesucht. Das war manchmal durchaus sinnvoll, reduzierte aber häufig auch die Qualität der Nahrungsmittel.
Schon kurz nach Kriegsbeginn musste die Bevölkerung beispielsweise mit dem sogenannten „Kriegsbrot“ Vorlieb nehmen. Dem grundsätzlich aus Roggen- oder Weizenmehl hergestellten Brot wurde nun Gerste-, Mais- oder Kartoffelmehl beigemischt. Im Laufe des Krieges wurde der Anteil an Roggen- und allerdings Weizenmehl immer geringer, bis das Brot im Jahr 1918 beinahe ausschließlich aus Maismehl bestand und beim Versuch, es in Stücke zu schneiden, zerfiel.
Der Mangel wurde aber auch durch Rückgriff auf Ersatzstoffe bekämpft, die grundsätzlich nicht für den menschlichen Verzehr vorgesehen waren. So wurde dem Brotteig sogar Sägemehl beigemischt, um Mehl zu sparen.
Viele Ersatzmittel hatten auch die Funktion, den Konsumenten zu täuschen und enthielten sogar gesundheitsgefährdende Stoffe. Beispielsweise war ein zum Backen vorgesehener Ei-Ersatz erhältlich, der einen Farbstoff aus Teer enthielt. Die mit diesem Ersatzmittel zubereiteten Mehlspeisen schmeckten seifig und färbten sich in Kontakt mit Säure rot.
... der Hunger einen maßgeblichen Anteil am Sieg der Alliierten hatte?
Nach mehr als vier Jahren Krieg und Hunger war die Bevölkerung der Mittelmächte am Ende ihrer Kräfte angelangt. Bis ins Jahr 1918 hatte sich der Nährwert, welchen bestimmten Personen laut Lebensmittelkarten zustand, auf bis zu 830 kcal (3500 kJ) reduziert. Das ist nur etwa ein Viertel dessen, was ein durchschnittlicher Mitteleuropäer heute täglich zu sich nimmt.
In Tirol war die Lage besonders dramatisch. Nach dem Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 lagen große Teile des Landes unmittelbar hinter der Front. Deshalb waren dort sehr viele Soldaten stationiert, die sich teilweise aus den ohnehin geringen Lebensmittelvorräten der Zivilbevölkerung versorgten. Dadurch nahm die Unterernährung immer dramatischere Formen an. Dies hatte schließlich schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Wird dem Körper über längere Zeit zu wenig Nahrung zugeführt, schwächt dies anderem die Immunabwehr. Immer mehr Menschen erkrankten und starben deshalb an Infektionskrankheiten, die vor dem Krieg seltener auftraten oder nicht tödlich verliefen. Dies hatte zur Folge, dass es bspw. in Innsbruck in den Jahren 1918 und 1919 zum einzigen Mal im 20. Jahrhundert zu einem Bevölkerungsrückgarn kam – es starben also mehr Menschen, als geboren wurden.
Die Bevölkerung Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches wurde als regelrecht ausgehungert. Die dramatische Ernährungslage im Jahr 1918 trug somit zusammen mit den militärischen Rückschlägen maßgeblich zum Sieg der Alliierten bei.
Texte von Mag. Matthias König, Universität Innsbruck
...fast jeder achte Soldat in Kriegsgefangenschaft geriet?
Von den rund 73 Millionen eingezogenen Männern geriet nahezu jeder achte Soldat in Kriegsgefangenschaft und kehrte unter Umständen erst Jahre nach dem Krieg in seine Heimat zurück. Die Kriegsgefangenenlager der kriegführenden Staaten platzten aus allen Nähten. Allein in Österreich-Ungarn mussten zwischen 1,8 und 2,4 Millionen landfremde Soldaten untergebracht, verpflegt und medizinisch versorgt werden. Dieser Aufgabe war die österreichisch-ungarische Heeresverwaltung nicht immer gewachsen. Im Lager Mauthausen beispielsweise starben im Winter 1914/15 12.000 Kriegsgefangene an Typhus.
... russische Kriegsgefangene Eisenbahnen und Straßen bauten?
Ab 1915 mussten Kriegsgefangene in der Land- und Forstwirtschaft, aber auch beim Straßen-, Wasser- und Eisenbahnbau mithelfen. Innerhalb kürzester Zeit standen in Alttirol (Trentino, Süd- und Nordtirol) zwischen 20.000 und 25.000 Kriegsgefangene, vor allem Russen, im Arbeitseinsatz. Ein Großteil der Gefangenen arbeitete im Infrastrukturbereich, wie etwa im Straßenbau und der Inn- und Großachenregulierung. Das Eisenbahnnetz wurde vielerorts mit ihrer Hilfe erweitert und saniert.
Großbaustellen, mit mehreren tausend Arbeitern, befanden sich vor allem im heutigen Südtirol. So arbeiteten nahezu 6000 Kriegsgefangene zwischen 1915 und 1916 beim Bau der Grödnerbahn zwischen Klausen und Plan (Bezirksgemeinschaft Salten-Schlern) mit. Diese Bahnstrecke war als Nachschublinie für die Dolomitenfront von großer Bedeutung.
... die hohe Anzahl von Kriegsgefangenen zu großen Problemen in der Essensversorgung führte?
Die Kriegsgefangenen waren für den Staat billige Arbeitskräfte, doch mussten auch sie versorgt werden. Und das in einer Zeit, in der die eigene Bevölkerung Hunger litt. Hier ein Beispiel: laut den Aussagen einer Zeitzeugin befanden sich 1915 in einer Ortschaft in Gröden (Südtirol) beinahe doppelt so viele Kriegsgefangene Arbeiter wie Einwohner. Um das Brot für die nahezu 8000 Gefangenen zu backen, sei eine eigene „Russenbäckerei" errichtet worden. Doch im Laufe des Krieges wurden Lebensmittel immer knapper.
Jenen Kriegsgefangenen, die in der Landwirtschaft tätig waren, erging es etwas besser als ihren Kameraden im Straßen- und Eisenbahnbau. Doch selbst hier wurden die Gefangenen mit zunehmender Kriegsdauer in die großen Stammlager zurückgeschickt, da sie nicht mehr versorgt werden konnten.
Texte von Corinna Zangerl, Universität Innsbruck
Vortrag "Kriegsgefangenschaft 1914-1918 aus internationaler, österreichisch-ungarischer und Tiroler Perspektive“ von Matthias Egger, Universität Innsbruck: https://www.youtube.com/watch?v=Y1AoeJnLXYE
...dass das Jahr 1914 für Film und Kino von großer Bedeutung war?
Film und Krieg sind zentrale Elemente des modernen Zeitalters und seit jeher eng miteinander verbunden, nicht nur aufgrund der Rolle des Films in Propaganda und Kommunikation. 1914 war ein wichtiges Jahr für die Filmkunst. Der 1. Weltkrieg unterschied sich durch den Einsatz von neuen Waffen und Geräten grundlegend von früheren Kriegen und die vielen technischen Innovationen, die der Krieg voran trieb, beeinflussten auch, wie Filme produziert wurden. Der Wechsel von Bewegungs- zu Stellungskrieg führte zu neuen Perspektiven von Kampf und Leben im Krieg.
...dass in den Jahren 1914-18 Filme die Schrecken der ersten Weltkriegs nicht wirklich wiedergeben konnten?
Die Filme, die während des 1. Weltkrieges gemacht wurden, konnten die schreckliche Realität des Krieges nicht wiedergeben. Schlachtfelder und die Handlungen der Heere konnten nicht genau beobachtet werden, und das Filmen von Massengräber, Wunden, Amputationen und psychologischen Traumas war aus Propagandazwecken nicht erwünscht. Stattdessen konzentrierten sich die Filmemacher auf einzelne Menschen, insbesondere Generäle und Kommandanten, die stellvertretend für die anonyme Masse der Soldaten und Kriegsgefangenen stehen sollten. Siehe auch Giaime Alonge, Cinema e guerra: il film, la Grande Guerra e l’immaginario bellico del Novecento (2001).
...dass zu den amerikanischen Truppen, die in Europa stationiert waren, der Signal Corps gehörte, der die Aufgabe hatte, Kriegsereignisse zu dokumentieren?
Die ersten amerikanischen Truppen kamen im Juni 1917 auf französischem Boden an. Anfang 1918 erreichten sie im Zuge der österreichisch-deutschen Zwölften Isonzoschlacht (Schlachtt von Karfreit, 24.10.1917) Italien. Eine der Einheiten war der Signal Corps, die amerikanische Nachrichtentruppe. Regisseure, Techniker und Kameraleute dokumentierten die Ereignisse an der Front, besonders das Leben hinter der Frontlinie: das Nachschubgebiet, die talienische Kleinstädte. Die Hauptrolle spielten allerdings die amerikanischen Soldaten selbst. Dargestellt wurden sie wie Filmstars aus Hollywood, so der Wissenschaftler Luca Giuliani: groß, stark, schön, gut ernährt und schön gekleidet.
(Texte von Giuseppe Ferrandi, Fondazione Museo storico del Trentino)
... dass der Krieg hauptsächlich durch sogenannte Kriegsanleihen finanziert wurde?
Die am Krieg beteiligten Staaten finanzierten ihre militärischen Unternehmungen hauptsächlich durch die Besteuerung, die Staatsverschuldung und die Erhöhung des im Umlauf befindlichen Geldes. Alle Staaten haben, wenn auch in unterschiedlichem Maße, diese Methoden angewandt. Aber die Kriegsanleihen, nämlich die Emissionen öffentlicher Titel zur Kriegsfinanzierung, erscheinen besonders interessant; zum einen weil sie aus Bürgersicht weniger repressiv als die Besteuerung waren, zum anderen weil sie von einer intensiven Propagandakampagne begleitet wurden, welche die Sparer zum Erwerb bewegen sollte.
Ein Beispiel: Die Habsburgermonarchie gab für den Krieg die enorme Summe von 20 Milliarden Goldkronen aus, was ungefähr dem gesamten Bruttoinlandsprodukt von 1914 entsprach. 40 % dieses Betrages wurden durch eine erhöhte Geldausgabe finanziert und 60 % mittels Kriegsanleihen.
... dass während des Ersten Weltkriegs Plakate als Masseninformationsmedium und Propagandainstrument eingesetzt wurden?
Das Plakat war in diesem ersten Massenkrieg der Geschichte nach wie vor das einzige Masseninformationsmedium. Die an Außenwänden oder Litfaßsäulen angebrachten Plakate fungierten als öffentliche Werbemedien, gewissermaßen als Wandzeitung. Die Emission der Kriegsanleihen wurde von einer intensiven Propagandakampagne begleitet, welche die Sparer zum Erwerb bewegen sollte. Wiewohl in Ermangelung präziser Richtlinien ließen es sich die Kreditanstalten der Österreich-Ungarn nicht nehmen, namhafte Plakatkünstler zu engagieren, die oft auch begabte Maler waren, und renommierte Verlage mit der Realisierung dieser Plakate zu betrauen. Dabei war die Illustration, und besonders die vom Bild ausgehende unterschwellige Botschaft, von ausschlaggebender Bedeutung.
... dass gegen Ende des Krieges Münzgeld knapp wurde und die Gemeinde Bozen deshalb entschied, "Notgeld" zu drucken?
Gegen Ende des Krieges hatte das Phänomen ein solches Ausmaß angenommen, dass der auf den Münzeinheiten zu sehende Nominalwert niedriger lag als der Wert des Metalls, mit dem die Münzen geprägt worden waren. Die Metallpreise waren aufgrund des enormen Konsums zu Kriegszwecken sowie des internationalen Handelsembargos auf schwindelerregende Höhe angestiegen. Folglich begann Münzgeld, knapp zu werden, und verschiedene Gemeindeverwaltungen behalfen sich, indem sie Ersatzmarken aus Papier verteilten, das sogenannte „Notgeld“. In Bozen entschied sich die Gemeinde Ende Oktober 1918 für diese Lösung. Doch wurde die Maßnahme von der italienischen Militärverwaltung unterbunden, so dass die bereits gedruckten Marken nie in Umlauf kamen. Eine autorisierte Ausgabe fand hingegen im April 1919 statt, als die definitive Einführung der Lira bevorstand, aber das Problem der Münzknappheit blieb noch für mehrere Monate bestehen.
Texte und Bild vom Merkantilmuseum Bozen. Die Ausstellung "Gut und Blut fürs Vaterland!" kann bis zum 31. Oktober 2015 im Merkantilmuseum in Bozen besichtigt werden.
... dass die Beziehungen zwischen Italien und Österreich-Ungarn bereits vor Kriegsausbruch sehr angespannt waren?
Seit 1882 waren Österreich-Ungarn und das junge italienische Königreich gewissermaßen verbündete Feinde. Der sogenannte Dreibundvertrag band die beiden Staaten (und Deutschlang) zwar formell enger aneinander, große Interessensgegensätze an den Grenzen der beiden Staaten, traditionelle Feindschaften, und das seit jeher vorhandene gegenseitige Misstrauen wirkten aber unterschwellig fort. Die Wiederberufung von Conrad von Hötzendorf als Generalstabschef der österreichisch-ungarischen Armee im Dezember 1912 trug weiters zur angespannten Beziehung der zwei Staaten bei. Conrad galt nämlich als einer der entschiedensten Gegner Italiens. Ebenfalls provozierend wirkten die so genannten Hohenlohe-Erlässe von 1913, welche die Entlassung aller nichtösterreichischen Staatsbürger aus dem öffentlichen Dienst der Stadt Triest vorsah.
... dass das anfangs neutrale Italien gleichzeitig mit dem Dreibund und der Entente Verhandlungen führte?
Schon im Juli 1914 forderte man das südliche Tirol gewissermaßen als Kompensation für die italienische Neutralität. Wien lehnte ab. Von Entente und Mittelmächten gleichermaßen umworben, wurde die italienische Kriegspolitik in der Frage der Kompensationen zusehends selbstsicherer. Man war davon überzeugt, das berühmte Zünglein an der Waage spielen zu können. Spätestens seit März 1915 führte Italien Parallelverhandlungen mit den Mittelmächten und der Entente. Der Preis für einen italienischen Kriegseintritt – auf welcher Seite auch immer – stieg kontinuierlich. Italien forderte nun nicht mehr nur das Trentino, sondern auch Teile Tirols bis zum Brenner, Istrien und Dalmatien, sowie Triest und Görz. Am 3. Mai kündigte Italien den Dreibundvertrag und erklärte kurz danach am 23. Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg.
... dass das das österreichisch-ungarische Militär äußerst hart gegen die Trentiner Bevölkerung vorging?
Der Kriegseintritt Italiens hatte für das Trentino viel stärkere Auswirkungen als für das deutschsprachige Tiroler Hinterland. Nicht nur das Flüchtlingsschicksal traf Land und Leute im italienischsprachigen Tirol ungemein hart. Das österreichisch-ungarische Militär gebärdete sich im Trentino nach dem Intervento vielfach wie im Territorium des Feindes. In politischer Hinsicht waren die Trentiner für das Militär ein Volk von Unzuverlässigen. Überall witterte man Irredentisten, Spione und Verräter. Unzählige Trentiner - Zivilisten, Politiker, Geistliche und Soldaten - wurden des Hochverrats, Majestätsbeleidigungs, Störung der öffentlichen Ruhe und Spionage angeklagt.
Texte aus: Nicola Labanca/Oswald Überegger (Hrsg.), Krieg in den Alpen. Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2014.
Mehr darüber kannst du am 9. Juni bei der Buchvorstellung in der Teßmann Bibliothek in Bozen erfahren.
Bild aus der Sammlung Pfeiffersberger, Südtiroler Landesarchiv
... dass die Ereignisse des Ersten Weltkriegs zur Emanzipation der Frauen beigetragen haben?
„Die Frauen sind durch den Krieg ungleich selbstständiger geworden. Sei es, dass sie als Ehefrauen das Geschäft ihres Mannes weitergeführt haben, sei es, dass sie durch anderen Erwerb selbst den Unterhalt der Familien bestritten haben, sei es, dass sie unverheiratet in einem Beruf standen, sie haben an Unabhängigkeit, an Lebenserfahrung und Welterkenntnis ungeheuer gewonnen.“ (Adelheid Steinmann, Jahrbuch des BDF 1918 „Frauenaufgaben in künftigen Deutschland“). Dennoch bedeutete für Frauen die Rückkehr der Männer nach dem Krieg– sofern sie nicht gefallen waren – die allgemeine Forderung nach einer Rückkehr der Frauen an Herd und Heim.
In Italien kam der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts erwachte Emanzipationsprozess mit dem Einsetzen des Faschismus bereits 1922 zum Erliegen. Für eine kurze Zeit war es den Frauen aber gelungen, ihre Freiheit und Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten.
...dass Geschlechtskrankheiten im Laufe des Ersten Weltkriegs um 50% zunahmen?
Etwa 20% der Ansteckungen geschahen in kontrollierten Bordellen an der Front, die restlichen 80% im Hinterlande. Während eine höhere sexuelle Aktivität der Männer als eine natürliche Folge des gesteigerten Triebes im Kriegsfalle angesehen wurde, galt die Sexualität der Frau als äußerst negativ. Bald folgte, dass jede Frau der „heimliche Prostitution“ bezichtigt wurde, sobald sie sexuellen Kontakt zu einem oder mehreren Männern hatte. Frauen wurden schon bei bloßem Verdacht auf Geschlechtskrankheiten hin von öffentlichen Exekutivorganen in das Spital interniert. Selbst, wenn sich diese Anschuldigungen als unbegründet erwiesen, blieb an der Frau ein Makel haften: Sie wurde auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt oder man verweigerte ihr sogar die Heimreise, wenn diese im engeren Kriegsgebiet lag.
... dass auch Frauen eine zentrale Rolle im Ersten Weltkrieg spielten?
Der gleichwertige Einsatz und Anteil der vielen Frauen am Kriegsgeschehen des 1. Weltkriegs wird im kollektiven Gedächtnis weitgehend ausgeblendet. Bereits die damalige politische Einschätzung räumt der Front und den Frontkämpfern uneingeschränkt die ökonomische, soziale und kulturelle Priorität ein. Alles, was mit Frauen und Mädchen der ‚Heimatfront‘ zu tun hatte war, blieb demgegenüber untergeordnet, minder gewertet.
Die Behauptung, dass Krieg nur eine Angelegenheit der Männer sei, wird heute als Mythos gesehen. Die Mobilisierung der weiblichen Bevölkerung setzte nämlich gleich mit Kriegsbeginn ein und erfolgte über den ganzen Zeitraum des Krieges hinweg. Das Verschmelzen der Fronten, Kriegs- und Heimatfront, und die Ausdehnung der Kampflinien um Tod und Leben wird in einem Zitat einer 1901 geborenen Bäuerin offensichtlich: „...freudig für Gott Kaiser und Vaterland sind [sie] in den Krieg gezogen, krank und zerlumpt in die Heimat, die Heimat das einzige Glück“.
(Texte vom Frauenmuseum Meran)
Die Ausstellung "Unsichtbare Heldinnen - Frauenfront im 1. Weltkrieg" ist bis 31.07.2015 im Frauenmuseum in Meran zu besichtigen.
Zum Weiterlesen:
Christa Hämmerle, Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich-Ungarn.
Antonia Meiners, Die Stunde der Frauen. Zwischen Monarchie, Weltkrise und Wahlrecht, 1913-1919
1 Bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs waren die drei Provinzen, die heute die Europaregion Tirol-Trentino-Südtirol bilden, Teil des Landes Tirol. Man sprach bereits drei Sprachen so wie heute: deutsch, italienisch, ladinisch. Auf den ersten Blick scheint sich seit damals nicht viel geändert zu haben – oder doch?
2 Vor 100 Jahren konnte man ohne Reisepass von Trient nach Prag, von Brixen nach Graz und Krakau, von Rovereto nach Innsbruck und Lemberg (Lviv), von Wien nach Budapest reisen. Der 1. Weltkrieg setzte dem ein Ende, neue Grenzen wurden errichtet. Heute gehören diese für viele Europäer dank der EU der Vergangenheit an. Wenn wir an die Grenzen Europas denken, denken wir dann zuerst an Frieden oder Krieg?
3 Zum Erbe des 1. Weltkrieg zählen Faschismus, Kommunismus und Nationalsozialismus. Die Bevölkerung der Europaregion hat diese Ideologien und Diktaturen direkt miterlebt. Wie reden wir darüber?
4 Die Berge unserer Region waren - wie auch die Ebenen Belgiens, Frankreichs, Galiziens und der Ukraine - Schauplätze des 1. Weltkriegs. Bis auf die Gipfel führten die Straßen und Wege, auf denen Versorgungsmaterial zu den Soldaten im Gebirge gebracht wurde. Heute bringen dieselben Wege Tausende von Wanderern und Touristen auf unsere Berge. Gestern Berge im Krieg, heute Berge des Friedens?
5 Während des 1. Weltkriegs kämpften an der Trentiner-Tiroler Front österreichische, deutsche, italienische, polnische, tschechische, ungarische, bosnische, kroatische, slowenische, französische und englische Soldaten. Russische und serbische Kriegsgefangene leisteten auf den Bergen Zwangsarbeit. Bei ihrer Heimkehr brachten sie Erinnerungen und Eindrücke von Tirol und Trentino mit und rückten damit die Region ins europäische Bewusstsein. Ändert sich etwas an der Identität der Europaregion, wenn wir bedenken, dass die Berge nicht nur Symbol für Natur, Freizeit und Abenteuer sind, sondern auch Orte des europäischen Kriegsgedächtnisses?
6 Der 1. Weltkrieg hat tiefe Wunden in der Berglandschaft hinterlassen. Der 520 km lange Friedenweg, der entlang Schützengräben, Festungen, Überresten von Baracken und Stollen führt, ist heute ein Teil der Landschaft - genauso wie die Schlösser, Burgen und Ansitze der Region. Gestern nahm der Krieg den Bergen ihre Unschuld; heute bringen die Erinnerungen an den Krieg die Menschen zurück in die Berge?
7 Der 1. Weltkrieg weckte aggressive Nationalismen, die auch heute noch lebendig sind. Die Grundsteine für das heutige Europa wurden aber von Menschen gelegt, die den Mut hatten sich gegen solch nationalistische Ideen aufzulehnen. Wer sind die mutigen Menschen heute?
8 Nach dem 1. Weltkrieg war man offiziell der Meinung, dass ein Mensch nur eine einzige Identität haben sollte. Heute wissen wir, dass wir alle viele verschiedene Identitäten haben. Diese Vielfalt kann uns toleranter und offener gegenüber anderen machen. Was verbindet uns trotz unserer Unterschiede?
9 Mit dem 1. Weltkrieg wiederholte sich die Auswanderungswelle des 19. Jahrhunderts, während der Tausende aus dem Tirol und Trentino nach Amerika auswanderten. 1914 zogen Tausende junger Männer an die Ostfront, mehr als 100.000 Frauen, Kinder und alte Leute wurden aus ihren Häusern vertrieben. Noch immer zwingen Krieg und Not viele Menschen ihr Land zu verlassen. Wie nehmen wir sie in unserer Heimat auf? Wie bewältigen wir die Schwierigkeiten, die mit dem uralten Phänomen der Migration auftreten?
10 Die österreichischen Militärkapellen spielten deutsche, italienische, ungarische und französische Melodien, um die Soldaten an der Front aufzumuntern. Ist Musik auch heute noch eine Sprache, die kulturelle Grenzen überwinden kann?