Italien in Innsbruck? Die italienischen Vereine um 1900 in einer mittleren Kleinstadt
Die Quelle-des-Monats März stellt den Vereinsstempel des 1908 begründeten, 1916 bereits wieder aufgelösten italienischen Arbeiterkulturvereines (Lega per la coltura sociale) in Innsbruck dar. Der Beitrag selbst widmet sich den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Stadt Innsbruck um 1900 unter dem Eindruck des Nationalitätenkonfliktes. Dabei stehen im Besonderen die italienischen Vereinsgründungen im Vordergrund, die während eines allgemeinen Vereinsbooms einsetzten.
Die italienischen Vereine, die sich um 1900 in Innsbruck herausbildeten, fanden bisher weder in der Geschichte Tirols noch in der Stadtgeschichtsschreibung Innsbrucks viel Beachtung. Ihr plötzliches Aufkommen in der Hauptstadt des damaligen Kronlandes verrät dabei aber viel über die Vernetzung der Mitglieder der italienischsprachigen Sprachgruppe, die hier oftmals als Arbeitsmigrant*innen – etwa im Eisenbahn- und Tunnelbau oder als Kanalarbeiter – tätig waren.
Diese Vereine durften sich erst nach 1867 bilden, nachdem ein entsprechendes Gesetz in einer liberalen Phase der österreichischen Monarchie geschaffen wurde. Die italienischsprachigen Bewohner*innen Innsbrucks, die um 1910 etwa zwischen 1000 und 2000 Personen der 53.194 „anwesenden Bevölkerung“ ausmachten, griffen deshalb auch auf diese Möglichkeit zurück. Die italienischsprachigen Tiroler*innen und jene aus dem Königreich Italien organisierten sich so gemeinsam auf verschiedenen Ebenen in den neuen Vereinen. Dabei ging es einerseits um die politische und soziale Interessensvertretung nach außen, andererseits auch um die Organisation gemeinschaftlicher und von Freizeittätigkeiten.
Die italienischen Vereine wurden von der k.k. Statthalterei von Tirol unter politischen Gesichtspunkten äußerst kritisch beäugt. Von österreichischer Behördenseite wurden die italienischen Vereine vor allem der im Kontext der zwischen Österreich-Ungarn und Italien territorial ungelöst gebliebenen Fragen der terre irredente (Trentino, Österreichisches Küstenland/Litorale Austriaco mit Triest als Hauptstadt) betrachtet. Ständig befürchteten die Behörden eine politische, staatsfeindliche Betätigung und Einflussnahme durch italienische Nationalisten.
Studentische Verbindungen, Arbeitervereine, eine katholische Bruderschaft (die eigentlich streng genommen nicht unter das Vereinsgesetz von 1867 fiel), karitative Unterstützungsvereine für die italienische Studenten- und Arbeiterschaft, eine „Volksbibliothek“, Musik-, Lese- und Dichtervereine sowie verschiedene Sportvereine adressierten um 1900 gezielt die italienischsprachige Bevölkerung der Stadt.
Wir finden hier die verschiedenen Vereine aufgelistet, die sich um 1900 herausbildeten. So gab es neben den studentischen Verbindungen und Arbeitervereine auch ausgewiesene Freizeitvereine wie etwa einen Mandolinenverein oder Lesezirkel. Diese entstanden aus den bereits etablierten Vereinen heraus.
Verein |
Gründung |
Auflösung (f = „freiwillig“) |
Tätigkeitsbereich |
Circolo accademico italiano |
1878 |
1905 (f) |
Studentenverbindung |
Pia confraternità della dottrina cristiana e sacra per gli Italiani provincia in Innsbruck |
1885 |
|
Katholische Bruderschaft |
Società di lavoratori e lavoratrici in Innsbruck e contorni |
1894 |
1910 (f) |
Arbeiterverein |
Famiglia cooperativa dei lavoratori e lavoratrici italiani |
1897 |
|
|
Societa di beneficenza per gli studenti italiani alla università in Innsbruck |
1898 |
1906 (f) |
Unterstützungsverein für italienische Studenten |
Circolo mandolinistico italiano |
1898 |
1907 (f) |
Musikverein |
Biblioteca popolare italiana |
1899 |
1916 |
„Volksbibliothek“/Leseverein |
Unione accademica cattolica italiana |
1900 |
1926 |
Katholische Studentenverbindung |
Club ciclistico italiano |
1901 |
1908 (f) |
Radfahrverein |
Unione ginnastica italiana |
1902 |
1907 (f) |
Turnverein |
Touringclub italiano |
vor 1903 |
|
„Filiale“ Radfahrverein |
Società italiana di beneficenza |
1904 |
1916 |
Unterstützungsverein |
Circolo italiano „Minerva“ Innsbruck |
1906 |
1916 |
Musik-/Literaturverein |
Lega per la coltura sociale |
1908 |
1916 (f) |
Arbeiterkulturverein |
Circolo Alessandro Manzoni |
1913 |
1916 |
Literaturverein |
Diese Zusammenschlüsse blieben im Unterschied zu den vielen „deutschen“ Vereinen prinzipiell auch offen für Mitglieder anderer Sprachgruppen. Im Gegensatz dazu bürgerten sich in den Vereinsstatuten deutschsprachiger Vereine Innsbrucks, insbesondere nach den „fatti di Innsbruck“, also nach den Auseinandersetzungen deutschnationaler und italienischer Studenten anlässlich der Gründung einer italienischen Rechtsfakultät im Jahr 1904, sogenannte „Arierparagraphen“ ein.
1916, unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, wurde viele der Vereine wieder von der Statthalterei aufgelöst. Sie wurden verdächtigt, Spionage für den „Feind“, also für das seit 1915 auf Seite der Entente in den Krieg eingetretene Italien zu betreiben. Der Krieg überdeckte dieses kleine Stück der Innsbrucker Stadtgeschichte, das beweist, dass die Stadt auch um 1900 nicht rein „deutschsprachig“ war. Die Verbindungen reichten auch weiterhin in den Süden, wenngleich das viele engstirnige Nationalisten damals nicht wahrhaben wollten.
Der folgende Beitrag wird in einer ausführlicheren Fassung im Ausstellungskatalog zur Sonderausstellung „Al lavoro. Über die Zuwanderung aus dem Trentino im 19. Jahrhundert“ im Volkskunstmuseum Innsbruck (13.5.2021 - 26.10.2021) erscheinen.
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Kontakt: csag5636@uibk.ac.at
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