Die Energieversorgung der Industriezone Bozen
"Jede Diskussion [über Stromtarife in der Industriezone] muss unter der Prämisse geführt werden: Wer verteilt die Energie?“ So beginnt ein Memorandum, das im Hinblick auf ein in der Präfektur Bozen organisiertes Treffen zwischen zwei rivalisierenden Elektrizitätsgesellschaften im April 1936 verfasst wurde. Das Dokument aus dem Archiv der Etschwerke beschreibt den Wettbewerb zwischen den letzteren und der Società Trentina Elettricità (STE) um die Energieversorgung der aufstrebenden Industriezone der Landeshauptstadt und enthüllt dabei eine Überraschung.
Die Energie spielte eine Schlüsselrolle in der Geschichte der Industriezone, die von der faschistischen Regierung mit der Absicht gegründet wurde, das produktive Potential des Landes zu nutzen, die Bevölkerung zu "italienisieren" und Südtirol vollkommen in das Königreich Italien zu integrieren. Die Anziehungskraft Bozens für diese Art von Unternehmen lag darin, dass sich die Wasserressourcen der nahe gelegenen Berge besonders gut für die hydroelektrische Energieherstellung und somit für die industrielle Nutzung eigneten. Damit hätte der Mangel an Steinkohle behoben werden können, der dem Wettbewerbsnachteil Italiens zu Grunde lag. Zu den verschiedenen Erleichterungen, die die Regierung den Unternehmen gewährte, die sich in der Industriezone niederlassen wollten, gehörten eben niedrige Energiekosten. Diese Maßnahmen begünstigten die Ansiedlung verschiedener energieintensiver Betriebe, darunter die Montecatini Aluminiumproduktion, das Falck Stahlwerk, ein Lancia-Werk und eine Magnesiumfabrik.
Zum Zeitpunkt der Errichtung der Industriezone versorgten die Etschwerke den gesamten Raum Bozen mit Elektrizität, wobei sie diese aus den eigenen Kraftwerken in Töll und Schnals und auch von Dritten bezogen. Während die Ursprünge der stadteigenen Etschwerke auf die österreichische Zeit zurückgingen, wurde die STE 1911 zunächst als Società gardesana per imprese elettriche mit Sitz in Verona gegründet und trat, anfänglich von Edison kontrolliert, während der 1920er Jahren in die Interessensphäre der Società idroelettrica Piemonte (SIP) ein. Als Eigentümerin der Virgl-, Rittner- und Überetscherbahn war die STE hauptsächlich im Transportwesen tätig. 1936 erklärten sich die Etschwerke in dem oben erwähnten Dokument bereit, unter bestimmten Bedingungen, die Stromversorgung der Industriezone mit dem Trentiner Unternehmen teilen zu wollen; und das trotz einer Reihe von Beschwerden über das angebliche Fehlverhalten der STE und dem dadurch verursachten wirtschaftlichen Schaden. Konkret bezeichnete die Verwaltung der Etschwerke die STE als ein „Unternehmen, das sich nicht aus den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung, sondern durch Käufe und Wettbewerb hocharbeitet". Es ist darauf hinzuweisen, dass das damalige Verhalten der Etschwerke ebenfalls Kritik auf sich zog. Diese bezog sich darauf, dass sich die Etschwerke als kommunale Gesellschaft auf die Energieversorgung der Bürger hätte beschränken sollen, jedoch seit ihrer Gründung als Industrieunternehmen mit nahezu unbegrenzter Geschäftstätigkeit wirkten.
Die offensichtliche Frage, die sich beim Lesen dieses Dokuments stellt, ist warum dieses Angebot gemacht wurde. Mit anderen Worten, was hatte die Etschwerke angesichts der Wettbewerbssituation zwischen den beiden Unternehmen dazu bewogen, die Teilung der Versorgung der Industriezone anzubieten? Die AEC erklärte, sich "der Bedingungen bewusst zu sein, unter denen sich einige Schwesterindustrien in unmittelbarer Nähe des Industriegebiets befinden, diesem eine größere Versorgungssicherheit gewährleisten zu wollen und schließlich von einem sehr hohen Sinn für Altruismus beseelt zu sein". Tatsächlich hatten die für die Wassernutzung zuständigen Behörden bereits festgestellt, dass die dem Unternehmen von der österreichischen Regierung gewährten Privilegien gegenüber Bozen nicht mehr tragfähig waren und dass, was die Industriezone betraf, auch die Energieversorgung durch andere Produzenten genehmigt werden sollte. Insbesondere hätte die Montecatini in der Lage sein sollen, die von ihrem eigenen Kraftwerk am Grödner Bach erzeugte Energie zu nutzen, während der STE und ihrer Schwesterngesellschaft Società idroelettrica dell'Isarco (SIDI) ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden sollte, die in ihren Anlagen reichlich produzierte Energie in der Industriezone zu verkaufen.
Das Dokument hebt die Konkurrenz, aber auch die verflochtenen Interessen hervor, die die verschiedenen auf dem Energiemarkt tätigen Gesellschaften miteinander verbanden. Um die Versorgung der Industriezone gewährleisten zu können, verhandelten die Etschwerke mit mehreren anderen Unternehmen über den Kauf der notwendigen Energie. Unter anderem waren die Etschwerke bereits Kunden der STE, da die Energie aus dem Kraftwerk Lajen, das sich im Besitz der STE befand, zur Versorgung des Etschwerke Umspannwerks in derselben Industriezone beitrug. Am Ende teilten sich Etschwerke und STE trotz ihrer gegenseitigen Beschuldigungen die Energieversorgung der Industriezone auf und schlossen jeweils mit Lancia und Falck, als auch mit mehreren kleineren Unternehmen, Verträge ab. Was die Industriezone anbelangt, so setzte sich ihr Wachstum auch dank der niedrigen Tarife, die durch den Wettbewerb zwischen den beiden Anbietern entstanden, bis zur Zeit der großen Wirtschaftskrise der 1970er Jahren fort.
Bibliografie:
D. Burger, La nascita della zona industriale di Bolzano 1934-1943, tesi di laurea, Università degli Studi di Padova, 1998/99.
Etschwerke/Azienda Energetica Consorziale (Hrsg.), Das elektrische Jahrhundert 1898-1998, (Bozen: Etschwerke, 1998).
R. Petri, “La zona industriale dell’Agruzzo/ am Grutzen sino al termine della seconda guerra mondiale”, in: Gruppo di lavoro per un Museo nelle Semirurali (a cura di), Semirurali e dintorni, (Bolzano: Città di Bolzano, 2013), pp. 130-143.
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Alice Riegler
Historegio- Projekt: “Technologietransformationen und ihre Folgen im Alpenraum im 19. Und 20. Jahrhundert”
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften – Universität Trient
Kontakt: alice.riegler@unitn.it