Vor 100 Jahren

Kanonikus Michael Gamper( 1885-1956)
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„Im Kellerloche“

Kanonikus Gamper ruft zum Hausunterricht in der Muttersprache auf

Mit der „Lex Gentile“ vom Oktober 1923 wird der Schulunterricht in deutscher Sprache in Südtirol schrittweise abgeschafft, ab Mai 1924 wird die italienische Sprache auch in den Kindergärten verpflichtend. Da alle Bitten, Petitionen und Proteste vonseiten der Südtiroler Bevölkerung und ihrer politischen Vertreter erfolglos bleiben, sucht Kanonikus Michael Gamper (1885-1956) – damals Schriftleiter der Tageszeitung „Volksbote“ – den Weg über die Presse, um den Südtiroler Familien Ratschläge für den deutschen Hausunterricht zu erteilen. Es ist dies der Anstoß für die geheimen Südtiroler Notschulen, die sogenannten Katakombenschulen. 

In der Ausgabe des „Volksbote“ vom 2. Oktober 1924 schreibt Gamper: 

„Um in dem schweren Kampf des Lebens wirtschaftlich und sittlich bestehen zu können, um einen geistigen und wirtschaftlichen Fortschritt machen zu können, damit unsere Kinder glückliche Menschen, feste und treue Bürger des Staates werden, ist es unumgänglich notwendig, daß ihnen die elementaren Kenntnisse, die die Volksschule vermittelt, in ihrer Muttersprache beigebracht werden. […] Nun beginnt das Schuljahr. Aber wenn es nur mit dem italienischen Unterrichte beginnt, dann ist das für euch soviel wie keines. Dann müßt ihr selber für den Unterricht eurer Kinder in der Muttersprache sorgen. Jedes Haus, jede Hütte muß zum Schulhaus, jede Stube zur Schulstube werden, in der die Kinder den Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten. Und die Lehrer seid ihr!“

Der prägende Begriff der Katakomben wird erst einige Wochen später im Zusammenhang mit dem geheimen Schulunterricht erstmals genannt, der „Volksbote“ und andere Südtiroler Zeitungen veröffentlichen am 30. Oktober unter dem Titel „Im Kellerloche“: 

„Geschäftlich kam ich in ein Dorf des Burggrafenamtes. Da hörte ich mitten im Orte fröhliche Kinderstimmen aus einem Bodenfenster herauf. Ich guckte hinunter – es währte lange, bis ich mein Auge an die Dunkelheit gewöhnt – und erblickte tief unter der Erde in einem Kellerloche eine Schar von Kindern um eine Schwester versammelt. Ich wußte, daß im Orte ein herrliches Heim für die kleinen Kinder besteht, darum fragte ich erstaunt, warum jetzt der Kindergarten unterirdisch abgehalten werde. Ich erhielt zur Antwort, daß die Behörde die Abhaltung des Kindergartens in dem überirdischen Heim nicht mehr dulde, weil die Kindergärtnerin deutsch spreche. Selbst ins Kellerzimmer drangen die Wächter des Gesetzes ein und erklärten, sie wollen gütig sein und den Kindergarten hier dulden, falls nur gespielt, nicht aber Belehrungen gegeben werden. Das aber nur solange, bis eine italienische Kindergärtnerin eintreffe, dann müssen die Kinder den italienischen Kindergarten besuchen. Also, soweit ist die nationale Verfolgung fortgediehen, daß man sogar die Kleinen belästigt, ihnen den gewohnten Mutterlaut vorenthält. Daß sich die Deutschen in ihrem eigenen Heim in die Katakomben zurückziehen müssen und dort nicht einmal sicher sind, riecht stark nach den Zeiten, da sich die Christen Roms unter die Erde flüchten mußten und dort noch verfolgt wurden.“ […]

 

03.10.2024 - Maria Pichler

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