Vor 100 Jahren

Symbolbild: Verordnung, Wien, 3.7.1916
Symbolbild: Verordnung, Wien, 3.7.1916

"Ein Kampf um Malzkaffee"

Lebensgefährliches Gedränge in der Spezerei

Allein schon der Artikeltitel in der Tageszeitung Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 23. Mai 1918 spiegelt die prekäre Versorgungsituation in Tirol im Frühjahr 1918 wider. In der Innsbrucker Spezerei Flory in der Kiebachgasse 2 war am Vortag bei der Ausgabe von Malzkaffee "ein lebensgefährliches Gedränge" entstanden, "dem der anwesende Wachmann nicht gewachsen war, infolgedessen mit mehreren drängenden Frauen in Konflikt geriet, in dessen Verlauf er ziemlich unsanft herumgezerrt wurde [...]" Die Menschenmenge schenkte der Verlautbarung, dass es keinen Malzkaffee mehr gebe, keinen Glauben und verlangte "Einblick ins Geschäft nach etwa beiseite geschaffter Ware. Als dies gewährt wurde und der Augenschein nichts ergab, verlief sich der Rummel."

Auch der Beitrag nach dem Malzkaffee-Artikel befasst sich mit Ersatzkaffee, an echten Kaffee war aufgrund der Kriegslage gar nicht zu denken. Unter dem Titel "Gibt’s keinen Kriegskaffee mehr?" berichtet der Tiroler Anzeiger von der mangelhaften Zuteilung des 1-Kronen-Kriegskaffees, der trotz anfänglichen Misstrauens inzwischen die Gunst "aller Kaffee-Liebhaber, in hohem Maße zu erwerben gewußt" habe, aber schwer zu erhalten sei, "denn auf zwei Karten ein Päckchen für 6 bis 8 Wochen ist verflucht wenig, da man jetzt bei seinem langen Ausbleiben zu allerlei zweifelhaften und gesundheitsschädlichen Ersätzen greifen muß."

Die für die Zeit überraschend scharfe Sprache in Bezug auf Versorgungsmängel bei Ersatzkaffee lässt die Stimmung in der Bevölkerung durchaus erkennen. Tirol konnte sich nicht selbst mit Lebensmitteln versorgen und war somit auf Nahrungslieferungen aus anderen Gebieten der Habsburgermonarchie angewiesen. Der seit Juni 1917 amtierende Landeshauptmann Josef Schraffl bemühte sich vergeblich um eine Verbesserung der Situation.[1] So betitelt der Tiroler Anzeiger auf derselben Seite die Abordnung, die mit dem Landeshauptmann am 21. Mai 1918 nach Budapest abgereist war, knapp und treffend "Tiroler Brotbittfahrt nach Ungarn".



[1] Michael Forcher, Tirols Geschichte in Wort und Bild, Innsbruck 2004, S. 299

(Symbolbild oben links: Verordnung, Wien, 3.7.1916 - Quelle: Österreichische Nationalbibliothek, public domain)



[23.05.2018 Thomas Sinha]

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