Vor 100 Jahren

Blick auf Bruneck, ca. 1915/1916
Vista su Bruneck (Brunico), ca. 1915/1916

Achtung der deutschen Sprache?

Südtiroler Hoffnungen

Schon gleich nach Ankunft der Besatzungstruppen waren die Beziehungen zwischen der Zivilbevölkerung in Südtirol und der neuen italienischen Verwaltung angespannt. Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Saint Germain fragten sich viele, wie Italien mit Südtirol umgehen würde. Würde Rom – wie versprochen – die kulturellen und sprachlichen Besonderheiten der Südtiroler respektieren?

Der Tiroler vom 4. Oktober 1919 schrieb:
"So schöne, wenn nicht noch schöner klingende Worte, wie vor kurzem der Generalkommissär Credaro, hat der Außen-Minister Tittoni in der Kammersitzung vom 27. September in Bezug auf uns deutsche Südtiroler gebraucht, indem er u.a. sagte: „Die Völker, anderer Nationalitäten, die mit uns vereinigt werden, sollen wissen, daß uns der Gedanke einer Unterdrückung und Entnationalisierung vollständig fern liegt, daß ihre Sprache geachtet werden wird…“ usw. Unter dem Hinweise auf diese Versicherung des italienischen Ministers wird uns aus Bruneck geschrieben:
Werden obige richtunggebenden Programmworte des berufensten Vertreters der italienischen Regierung wohl auch von jenen übernationalistischen italienischen Beamten beachtet werden […]?
Am Fahrkartenschalter der Bahnstation Bruneck kann ein deutschsprechender Reisender mitunter Erfahrungen machen, die ein offener Hohn auf die Worte der Regierung sind. Obwohl Bruneck und die ganze Umgebung rein deutsch ist, hört man seitens des Schalter-Beamten kein deutsches Wort. Stellt man eine Frage in deutscher Sprache, dann kann man – als Beweis, daß er deutsch sehr wohl verstände – prompt die Antwort italienisch vernehmen. Versteht der des Italienischen Unkundige die Antwort nicht und fragt nochmals, schreit der Beamte den Fragesteller doppelt so laut zum Schalter heraus italienisch an. Ist gerade kein italienisch sprechender Reisender in der Nähe, welcher die Rolle eines Dolmetschs übernehmen könnte, kann es passieren, daß man einfach nicht zu der gewünschten Fahrkarte kommt."

 





Symbolbild: Blick auf Bruneck, ca. 1915/1916 – public domain




[04.10.2019 Thomas Sinha]

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