"Hilfsaktion für Wiener Kinder"
Südtirol hilft Wien
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die Lebensmittelversorgung in vielen Gebieten Europas, auch in Nord- und Südtirol, unzureichend. Ausgesprochen hart traf der Hunger aber die Bewohner Wiens, insbesondere die Kinder.
Aus diesem Grund wurde eine humanitäre Hilfsaktion ins Leben gerufen, bei der Wiener Kinder von Südtiroler Familien temporär aufgenommen wurden, um sie wieder zu Kräften kommen zu lassen.
Wie dringend notwendig diese Hilfsmaßnahme war, verdeutlicht ein Artikel der Bozner Tageszeitung Der Tiroler vom 19. Januar 1921: "Der österreichische Minister für soziale Verwaltung gab über das Wiener Kinderelend […] kürzlich recht traurige Aufschlüsse. In Wien sind 75 Prozent aller Kinder unterernährt, rachitisch und mit Knochenerweichung behaftet. Mehr als 50 Prozent sind tuberkulös […]."
Zahlreiche Südtiroler nahmen ein oder mehrere Kinder aus Wien auf, andere hingegen spendeten Geld. Ein Nachruf im Tagblatt Der Tiroler vom 9. August 1921 veranschaulicht die Großzügigkeit vieler Spender: "In Obermais starb heute früh unerwartet schnell die Besitzerin vom Cafè 'Meß' und der Villa 'Richter', Anna Anrather, geb. Schwaighofer […]. Sie war eine seelengute, stets gegen jedermann freundliche Frau. Ihr Wohltätigkeitssinn kannte fast keine Grenzen. So übernahm sie z.B. in der Nachkriegszeit drei Wiener Kinder in Pflege, obwohl sie selbst zwölf Kinder hatte."
Meist blieben die Kinder nur wenige Monate in Südtirol – eine kurze, aber entscheidende Stärkungsphase.
Der Tiroler berichtete am 24. Oktober 1919:
"Hilfsaktion für Wiener Kinder. Für die Unterbringung notleidender Wiener Kinder in Deutsch-Südtirol gibt sich in allen Kreisen der Bevölkerung reges Interesse kund. Es wird besonders aufmerksam gemacht, daß alle Wünsche bezüglich Alter, Geschlecht, soziale Stellung der Eltern im weitesten Maße berücksichtigt werden können. In Aussicht genommen ist die Unterbringung deutschchristlicher Kinder. Anmeldungen werden entgegengenommen in Bozen, Rathaus, Zimmer Nr. 3, ferner bei allen Pfarrämtern und Gemeindevorstehungen."
Bild: Steffi aus Wien (ganz rechts) mit ihrer Montaner Gastgeberfamilie Tiefenthaler - Foto (c): Montaner Dorfbuch
[24.10.2019 Thomas Sinha]