Vor 100 Jahren

Protestkundgebung auf dem Viehmarktplatz
Quelle: Bolzano Scomparsa

Generalstreik, Protestdemonstration, andächtige Trauerfeiern

Nach den tragischen Ereignissen des „Blutsonntags“ und bis zur Beerdigung von Franz Innerhofer stand die Stadt Bozen still; eine große Menschenmenge versammelte sich bei der Protestkundgebung und eine unüberschaubare Anzahl von Trauergästen folgte dem Leichenzug.

Am Montag den 25. April 1921 fand in Bozen eine große Protestkundgebung auf dem damaligen Viehmarktplatz (wenige Jahre später in Piazza Verdi umbenannt) statt. Es versammelten sich achttausend Menschen deutscher und italienischer Muttersprache aus allen Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen. Die Traueransprachen wurden von Franz Tappeiner für die deutschen Sozialdemokraten, von Carlo Biamino für die italienischen Sozialdemokraten und Eisenbahner und von Eduard Reut-Nicolussi im Namen des Deutschen Verbandes, des Zusammenschlusses von Tiroler Volkspartei und Deutschfreiheitlicher Partei, gehalten.

Die „Bozner Nachrichten“ berichten darüber am Mittwoch, 27. April 1921:

„Am Sonntag abend wurde anläßlich der blutigen Vorfälle in Bozen zum Zeichen des Protestes von den Gewerkschaften der Generalstreik erklärt. (…) Für Montag nachmittags war von den drei Parteien des Landes eine große Protestversammlung angesagt worden. Selbstverständlich waren in der Nähe des Versammlungsortes und in anderen Punkten der Stadt starke Abteilungen von Infanterie, Maschinengewähre und Karabinieri aufgeboten worden (…) Als erster Redner sprach Herr Franz Tappeiner der deutschen Sozialdemokraten: Wir Sozialdemokraten haben bisher sicherlich noch nie unterlassen, weiteste Gastfreundschaft zu gewähren und alle Menschen in jener Zunge sprechen zu lassen, die ihr Mutterlaut ist. Wenn aber … solche Verbrechernaturen in eine deutsche Stadt eindringen und Menschenleben vernichten… wir werden dieser Gewalt die Gewalt der Arbeiterschaft entgegensetzen… (...) Das eine Recht muβ uns die Regierung aber einräumen: Daβ wir unsere Sitten und Gebräuche bewahren können (…). Wir fürchten uns nicht (…)

Als nächster Redner sprach Herr Carlo Biamino in Namen der sozialdemokratischer Partei italienischer Zunge und der italienischen Eisenbahner: Das Proletariat Italiens werde am allerwenigstens durch jene wenigen Leute vertreten, die blutvergieβend die italienische Erde überfluten… Von jenen Herren in Rom verlangen wir Friede und Arbeit. Dies verlangen wir als ein Recht für uns, als ein Recht des gesamten arbeitenden Volkes.

Nun trat Herr Dr. Eduard Reut-Nikolussi an die Brüstung des Balkons: Ein Festzug unter dem Frühlingssonnenschein … das war die Gelegenheit, welche sich die Faszisten ausgesucht haben, um uns die ganze Gröβe ihres Reiches fühlen zu lassen (…). Ich muβ doch sagen, daβ die Art und Weise, wie gestern nicht bloβ die Faszisten (sic!) auf Weiber und Kinder losgedroschen haben, auf völlig Wehrlose, uns klar beweist, was wir von dieser berühmten „gentilezza italiana“ zu halten haben.

Hierauf ergriff wieder Herr Tappeiner das Wort: Noch möchte ich folgende Bitte an die Versammlung richten – Wir sind ein ordnungsliebendes Volk. Und so fordere ich sie auf, ruhig nach Hause zu gehen, keine Unruhen, keine Zwischenrufe zu verursachen. Je ernster und je ruhiger die Demonstration verlaufe, desto eindrucksvoller sei sie. Morgen um 1 Uhr nachmittags wird das arme Opfer zu seiner letzten Ruhestätte nach Marling überführt. Ehrenpflicht jedes einzelnen, gleich ob deutsch oder italienisch sprechend, ist es, diesem Opfer bis nach Gries hinaus das letzte Geleite zu geben, die letzte Ehre zu erweisen.“

Anschließend tagte um 17 Uhr der Stadtrat. Dort hielt Bürgermeister Julius Perathoner eine Rede, in der er die Komplizenschaft der staatlichen Behörden ansprach – denn sie hatten keine einzige Verhaftung vorgenommen.

Astrid Panizza

panizza.astrid@gmail.com

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