Quelle: "L'Illustrazione italiana" 15. Mai 1921
Wahlpropaganda
Die Wahlen zum italienischen Parlament fanden am 15. Mai 1921 statt: Zum ersten Mal nahmen Wähler aus den kürzlich vom Königreich Italien annektierten Gebieten daran teil. Wahlberechtigt waren - wie damals in Italien üblich – ausschließlich Männer.
Die Zeitung „Il Nuovo Trentino“ lancierte in den ersten Maitagen eine massive Wahlkampagne zugunsten ihres Direktors Alcide Degasperi. Degasperi, der bereits Abgeordneter im österreichischen Reichsrat gewesen war, kandidierte nun für das italienische Parlament in den Reihen des „Partito Popolare“. Am 7. Mai versuchte der Journalist in einem Leitartikel mit dem Titel „Aus den ladinischen Tälern“, die Stimmung der Wähler des Fassatales, Grödens, des Gadertales und Buchensteins zum Nachteil der Kandidaten des Deutschen Verbandes zu beeinflussen. Im Wahlkreis Trient trat nämlich die „Tiroler Autonomieliste“ mit den Kandidaten Eduard Reut-Nicolussi, Wilhelm von Walther, Friedrich von Toggenburg und Karl Tinzl als ernstzunehmende Konkurrenz an. Mit Benignus Testor (Anwalt aus Fodom/Buchenstein), Franz Kostner (Bergführer, Unternehmer aus Corvara und ehemaliger Kommandeur das Standschützenbataillons Enneberg) sowie Josef Demetz (aus Urtijei/St. Ulrich, Vertreter der ladinischen Bauer) hatte die Liste vor allem auch in den ladinischen Tälern prominente Kandidaten.
„Die Ladiner von Ampezzo, Livinallongo, Badia und Gröden blicken nach Trient, und ihre Abgeordneten im Parlament in Rom sind die sieben für das Trentino festgelegten. Wenn sie diese sieben Abgeordneten wählen, haben ihre Stimmen einen praktischen Wert. Von den Abgeordneten, die auch mit ihren Stimmen gewählt werden, können sie sich Vorteile erwarten. Die wenigen anmaßenden und dreisten Deutschen versuchen, die Ladiner dazu zu bewegen, nicht für die Liste von Trient zu stimmen, sondern kompakt für die Liste von Bozen. Um sie noch mehr zu verführen, haben sie zu den vier deutschen Abgeordneten auch drei Ladiner hinzugefügt (...).
Wählen ist ein Recht, wählen ist ein Privileg, wählen ist eine Pflicht in diesen Zeiten – wir werden alle zur Wahl gehen. Und wir werden für die Liste der sieben Abgeordneten des Partito Popolare stimmen, die für das Kollegium von Trient und alle Trentiner Täler bestimmt sind: Abgeordnete, die unsere Bedürfnisse in Rom vertreten und unsere Rechte als Italiener und als Christen verteidigen werden. Ladinische Freunde aus den anderen Tälern, reicht uns die Hand und tut es uns gleich.“
Eine wirklich unverschämte Propaganda, die ihre Wirkung nicht verfehlen sollte. In den beiden Wahlkreisen Trient und Bozen wurden sieben Kandidaten aus dem Trientner Kreis gewählt (Alcide Degasperi, Rodolfo Grandi, Luigi Carbonari, Enrico Tamanini und Pietro Romani für die Volkspartei und Silvio Flor und Lionello Groff für die Sozialistische Partei), während vier aus jenem von Bozen gewählt wurden (Eduard Reut Nicolussi, Karl Tinzl, Wilhelm Walter und Friedrich von Toggenburg Graf vom Deutschen Verband). Die Tiroler Autonomistenliste im Wahlkreis Trient erhielt am wenigsten Stimmen.
Astrid Panizza
panizza.astrid@gmail.com