Der Kartoffel-Skandal
Drei Jahre nach dem Krieg kommt es in Tirol zu einem Skandal um ein Grundnahrungsmittel, die Kartoffel. Der Preis für die Knolle, die für die Bevölkerung ein wichtiger Rohstoff ist, stieg so stark an, dass man befürchtete, sie könnte vom Markt verschwinden.
Die Zeitung ,,Innsbrucker Nachrichten” vom 27. September 1921 enthält einen Artikel über diesen Skandal.
Das berichtet die Zeitung:
Wir haben bereits gestern festgestellt, daß seit einiger Zeit in Innsbruck im freien Handel Kartoffel nur sehr schwer und zu sehr hohen Preisen zu erhalten sind. Dagegen wird mit dieser Ware ein schwunghafter Schleichhandel betrieben, der lebhaft an die letzten Kriegsjahre erinnert.
Wie wir aus Produzentenkreisen selbst vernehmen, war in Tirol die diesjährige Kartoffelernte im Durchschnitt, von einigen Gegenden abgesehen, befriedigend. Der Ertrag der Ernte würde voraussichtlich genügen, um die Verbraucher in Tirol mit einer bescheidenen Menge — etwa 50 Kilogramn pro Kopf — zu versorgen. Die gleiche Aufklärung erhielten wir auch bei einer Anfrage im Kartoffelamte.
Das Verschwinden der Kartoffel vom Markte ist daher nur auf preistreiberische Ursachen zurückzuführen. Vor etwa einem Monat waren Oberinntaler Kartoffel aus der Sommersaat noch in genügender Menge und zu einem angemessenen Preise zu haben. Seitdem aber die neue Teuerungswelle eingesetzt hat, halten die Produzenten mit den Winterkartoffeln zurück, offensichtlich, um höhere Preise zu erzielen. Diese Taktik ist auch bereits vom besten Erfolge begleitet: die Preise der Kartoffeln steigen von Tag zu Tag. In der Vorwoche hat ein Kilo noch 22 Kronen gekostet; gestern kostete das Kilo in den wenigen Geschäften, die diesen „Luxusartikel" überhaupt noch führen, bereits 24 bis 26 Kronen und für das Ende der Woche sind 30 Kronen als offizieller Preis festgesetzt.
Von einer Versorgung der städtischen Bevölkerung mit ausländischen Kartoffeln, so wie es im Vorjahre geschehen ist, hört man heuer gar nichts. Im Kartoffelamte wurde uns gesagt, das „mache zu viel Schererei und zahle sich nicht aus.“ Vorverhandlungen wurden nicht gepflogen und jetzt sei der Valutaunterschied so groß, daß die ausländischen (bayerischen) Kartoffeln sehr teuer kämen.
Solche Zustände sind natürlich auf die Dauer unhaltbar. Wenn schon die Bevölkerung widerstandslos die ewigen Preiserhöhungen hinnehmen muß, so kann sie wenigstens verlangen, daß die Versorgung mit einem, für jeden Haushalt unentbehrlichen Nahrungsmittel klaglos funktioniert, dies umsomehr, da ja genügend Ware vorhanden ist. Es geht nicht an, daß Tausende von Verbrauchern von der Willkür eines Produzentenringes abgängig sind und ganz einfach boykottiert werden.
Wir verlangen kein amtliches Einschreiten gegen die Preistreiberei, weil wir wissen, daß hiedurch das Uebel leider nur noch verschlimmert werden würde; über die Zeiten der amtlichen Festsetzung von Höchstpreisen sind wir ja auch schon hinaus; im Interesse der Bevölkerung müssen wir aber fordern, daß das Landeswirtschaftsamt Kartoffel für die Winterversorgung sicherstellt. Es ist ein Skandal sondergleichen, daß heute, drei Jahre nach dem Kriege, ein wichtiger Bedarfsartikel spurlos vom Markte verschwinden kann und die Verbraucher wieder ans die dunklen Pfade, des Schleichhandels und des Hamsterns verwiesen werden.
Wir haben im Lande verschiedene Organisationen, die angeblich die Rechte der Verbraucher zu schützen haben; wann es einmal, wirklich dazu kommt, die Verbraucherinteressen wahrzunehmen, versagen sie alle miteinander.
Wir hoffen, daß das Landeswirtschaftsamt die Bevölkerung ehebaldigst aufklärt, wie es mit der Versorgung mit Kartoffeln für den kommenden Winter steht.
Astrid Panizza
panizza.astrid@gmail.com