Vor 100 Jahren

Titelseite der Bozner Nachrichten vom 28. Dezember 1921

Konstituierung des provisorischen Landesausschusses für die Venezia Tridentina

Der Name Venezia Tridentina wurde verwendet, um die Gebiete des auf der Alpensüdseite liegenden Tiroler Landesteiles zu bezeichnen (Südtirol und Trentino), welcher nach dem Vertrag von Saint-German im Jahr 1919 an das Königreich Italien angegliedert wurden.

Im Jahr 1921 wurde am Heiligabend in Trient der provisorische Rat für Venezia Tridentina gegründet. Am 28. Dezember desselben Jahres wurde in den Bozner Nachrichten ein Artikel veröffentlicht, in dem die Ergebnisse dieser Sitzung beschrieben wurden, an der Senator Conci (Vorsitzender), Dr. Gentili, Dr. Detassis, Dr. Lorenzoni, Toffol, Granel und Oberhammer teilnahmen (...). Die Zeitung verweist darauf, dass "die konstituierende Sitzung des provisorischen Provinzrats den Eindruck erweckte, dass die Trentiner Mehrheit ihre Überlegenheit gegenüber den Südtirolern auf sehr bedauerliche Weise ausgenutzt hat".

Sie lautet:
„Senator Dr. Conci wies auf die Schwierigkeiten hin … daß die Schulden des Landes 7 Millionen Lire übersteigen und schließlich auf die dringendsten Aufgaben (Bilanzfrage, Zwangs-Brandversicherung, Systemisierung der Gemeindesekretäre, Teilung des mit Innsbruck gemeinschaftlichen Vermögens, Gebäranstaltserrichtung, neues Landhaus, Ausnützung der Wasserkräfte und Maßnahmen für Forstwächter).

(…) Dr. Conci bestimmte Dr. Guido v. Gentili zu seinem Stellvertreter und verteilte die Referate wie folgt:
1. Dr. V. Gentili: die Gemeinden der Bezirke Borgo, Schulen, Landeserziehungsanstalten S.Ilario, Riva, Stadlhof, Landesfinanzen, Landeshypothekenanstalt und Gemeindekreditanstalt
2. Dr. Lorenzoni: die Städte Trient und Rovereto, die Gemeinden der Bezirke Cles (Cles selbst ausgenommen) und Mezolombardo, die Gemeinden Pfatten, Salurn und Branzoll, die Irrenanstalt in Pergine, Gemeindestraβen, Trinkwasserleitungen des italienischen und ladinischen Landesteiles, Grundbuch, Handel und Industrie
3. Dr. Toffol: die Gemeinden der anderen italienischen Bezirke, Cles und die Gemeinden von Ladinien, Ackerbau, Landesanstalt in S. Michele, Bahnen, Polizei und Feuerwesen im Italienischen und ladinischen Landesteile, Automobilwesen, Gebäranstalt, Wasserbauarbeiten, Landesbrandversicherung und Personalangelegenheiten
4. Oberhammer: Gemeinden der Bezirke Meran, Bruneck (mit Ausnahme von Enneberg) und Schlanders, landwirtschaftliche Anstalt in Moos bei Sterzing, die Wasserbau- Meliorations- und Straβenbauarbeiten im deutschen Landesteile
5. Granel: die Gemeinden der Bezirke Meran, Bozen (ausgenommen Salurn, Branzoll und Pfatten) und Brixen (ausgenommen Gröden – Gröden gehört aber doch zum Bezirk Bozen und nicht Brixen -), die Bahnen und Feuerwehrpolizei im deutschen Landesteile.
(…)


Von dem vorstehend Mitgeteilten ist mancherlei hervorzuheben. Ersten die Tatsache, daβ zum Vorsitzenden-Stellvertreter vom Vorsitzenden wieder ein Trientiner und nicht ein Südtiroler bestimmt wurde. Im ehemaligen Tiroler Landesausschuβ war der gegenwärtige Vorsitzende des provisorischen Landesausschusses in Trient Doktor Conci. Im provisorischen Landesausschuβ in Trient ist der nationalen Minorität eine Vertretung im Präsidium nicht eingeräumt. Zugleich ist der stärksten politischen Organisation der gesamten Provinz eine Vertretung im Präsidium des Landesauschusses nicht eingeräumt, während der zweitstärksten Partei der Vorsitzende und der Vorsitzende-Stellvertreter entnommen ist.


Bemerkenswert ist weiter die Zerreiβung der politischen Bezirke. Bei Verteilung des Gemeindereferates wurden aus dem Bezirke Bruneck die Gemeinde des Gadertales und aus dem Bezirke Bozen das Grödental und die Gemeinden Branzoll, Pfatten und Salurn ausgeschieden und an trientinische Referenten überwiesen. Damit erscheinen alte Zusammenhänge zerrissen. Daβ diese Zerreiβung über Wunsch der betreffenden Talschaften und Gemeinden erfolgt wäre, ist bisher nicht bekannt geworden. Dagegen sind die Wünsche der deutschen Gemeinden im Bezirke Cles und Cavalese nach deutscher Vertretung bekannt. Diesen Wünschen wurde im provisorischen Landesausschuβ aber nicht Rechnung getragen. Aus der konstituierenden Sitzung des provisorischen Landesausschusses ergibt sich der Eindruck, daβ die trientinische Mehrheit ihre Übermacht in bedauerlicher Weise gegen die Südtiroler ausnützt“.

Astrid Panizza

panizza.astrid@gmail.com

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