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Die Not der Staatsbediensteten in den neuen italienischen Provinzen
Die Innsbrucker Nachrichten vom 2. März 1922 berichteten über die schwierige Situation der örtlichen Beamtenschaft:
„Wie der ,,Burggräfler“ berichtet, haben die Beamten des Trentino am 24. Februar eine Deputation zum Generalkommissär Credaro entsendet, um von ihm eine Linderung des Elends zu verlangen, in dem die Staatsbeamten der neuen Provinzen leben. Bekanntlich hat die Regierung die Einstellung der Teuerungszuschüsse verfügt, sodaß die Beamten im nächsten Monat lediglich ihren Gehalt beziehen, der bei 80 Prozent der Angestellten monatlich 500 Lire nicht übersteigt. Es gibt Beamte, die bei 20 Dienstjahren mit 7 Lire täglich das Auskommen finden müssen. In der Venezia Giulia, wo das Elend gleich groß ist, hat man den Streik als Kampfmittel ausgeschlossen und ein moralisch besser wirkendes Mittel ausgedacht, das auch im Auslande seine Wirkung nicht verfehlen soll. In einer Versammlung in Trient wurde beschlossen, dieses Mittel ebenfalls anzuwenden, wenn der Hilferuf vergeblich verhallen würde. Man will an die öffentliche Mildtätigkeit appellieren, in der Weise, daß alle Parteien, die im Amt erscheinen, eine Subskriptionsliste für die öffentliche Unterstützung der Beamten vorgelegt wird. In einer dem Generalzivilkommissär übergebenen Resolution fordern die Staatsangestellten, ohne Unterschied der Nationalität, eine angemessene Regelung ihrer Bezüge, die Beibehaltung der Zuschüsse und die Liquidierung der gesetzlich vorgesehenen Zuwendungen. Auch über die Behandlung der Optionsgesuche wird Klage geführt, da Unverstand und Engherzigkeit viele Beamte freiwillig aus dem Dienste getrieben haben und die noch verbliebenen, im Dienst ergrauten Staatsangestellten unter den drückenden Verhältnissen weiterarbeiten. Vielfach wird – auch von italienischer Seite – offen zugegeben, daβ manche höhere Funktionäre nur aus dem einen Grunde sich so übernationalistisch gebärden und jeden deutschen Beamten, der noch nicht ein Rückenmark aus Gummi besitzt, zu ,,tauchen” versuchen, weil sie selbst um jeden Preis ihre seinerzeit mit österreichischen Orden geschmückte Brust mit dem Feigenblatt der Deutschenfresserei zudecken wollen. Für die materiellen und moralischen Bedürfnisse der Beamtenschaft, die seit drei Jahren ein Übermaß an Sorgen und Enttäuschungen erleidet, besteht sehr wenig Interesse an den hohen Stellen. Es hat den Anschein, als ob man das freie, in seiner Pflichterfüllung unbeirrbare Beamtentum der altösterreichischen Schule mit Gewalt in die Fassion der reichsitalienischen Bureaukratie hineinzwingen möchte. Anstatt dafür zu sorgen, daß der Beamte die Autorität und Rechte des Staates mit freudiger Pflichterfüllung und Arbeitslust wahre, finden die Zentralstellen es vielmehr für notwendig, ihn mit Spracherlässen, Verordnungen und Dekreten, die meist widerrufen werden, schon bevor die Durchführungsbestimmungen herabkommen, zu überschwemmen. So kam erst in diesen Tagen wieder ein Sprachenerlaß, der den Beamten bei Androhung der Disqualifizierung die bessere Kenntnis der italienischen Amtssprache vorschreibt. Seit drei Jahren hätten die Beamten Zeit genug gehabt, italienisch zu lernen. Alle diese Umstände, so heiβt es am Schlusse des Berichtes des ,,Burggräfler”, bilden den Jammer des derzeitigen Beamtendaseins. Diese Zustände sind skandalös und alle Versprechungen, die da von Rom oder Trient her kommen, wirken infolge der vielen unerfüllten Verheißungen und Vertröstungen einfach als Ironie. Daß sich in diesem Falle Deutsche wie Italiener in einer Front gegen die verständnislose und ihrer eigene Autorität hohnsprechenden Regierung befinden, benimmt der Beamtenbewegung glücklicherweise jeden nationalen Anstrich und beweist, daß es sich hier wirklich um Sein oder Nichtsein der Staatsangestellten handelt“.
Astrid Panizza
panizza.astrid@gmail.com