Vor 100 Jahren

Karl Tinzl
Quelle:Wikipedia

Die Südtiroler und das Generalkommissariat in Trient

Die Rede des Abgeordneten Dr. Karl Tinzl in der Kammersitzung am 24. März

Karl Tinzl (1888-1964) war ein Politiker, einer der Gründer des Deutschen Verbandes, ein Vertreter des christlich-sozialen Flügels, mit dem er 1921 in die Abgeordnetenkammer gewählt wurde, und später einer der Gründer der Südtiroler Volkspartei. Während einer Parlamentssitzung erläuterte er der Abgeordnetenkammer die beklagenswerten Zustände, in denen sich die Bürger und Verwalter der "neuen Provinz" befanden. Der Regierungsbeauftragte übe eine „absolutistische“ Macht aus, die weit über das hinausgeht, was man als Übergangszeit bezeichnen könnte. Das Land befände sich jetzt in einem Zustand des absoluten Chaos, in dem niemand wisse, woran er sei. Es sei die Rede von nicht rechtzeitig erlassenen Gesetzen, von nicht oder zu spät erlassenen Durchführungsbestimmungen, von unzulässiger Machtausübung, von Willkür, von der Errichtung eines Polizeiregimes, von der Missachtung der Sprache, der Kultur und der Bräuche Südtirols. Nachfolgend einige Auszüge aus der Rede von Herrn Tinzl, wie sie in den Bozner Nachrichten vom 26. März 1922 veröffentlicht wurden:

„Es ist stets dasselbe, zuerst wird die kostbare Zeit versäumt und es geschieht nichts, und dann soll diese versäumte Zeit durch überstürzte Maßnahmen wieder eingebracht werden. Letzteres geschieht aber leider zum Schaden der Bevölkerung. Die Durchführungsverordnung zur Optionsverordnung erschien ein Jahr nach der Verordnung selbst; für die Ablieferung der alten Banknoten gab man uns erst in der jüngsten Zeit wieder eine Frist von ganzen sieben Tagen, für Anmeldung alter Auslandsschulden eine solche von zehn Tagen, während die bezüglichen Fristen in Österreich Monate währten. In der Ausdehnung der italienischen Gesetzte auf unser Gebiet erblicken wir weder Richtlinien noch System, es wird kein genügender Zeitraum gelassen, um die Gesetze kennen zu lernen, und die Gesetze selbst, die pauschaliter eingeführt werden, sind nicht einmal beim Generalkommissariat vorhanden, viel weniger bei einer anderen Behörde. (…)
In der Diskussion über das Anexionsgesetz versicherte Senator Tittoni, daß wir niemals jenes Polizeisystem erfahren sollen, das nach seiner Ansicht in Österreich dominierte und so wenig liberal war (…) Aber leider verläßt die Bahn des gegenwärtigen Regierungskommissär immer offensichtlicher jene Linie, die uns so oft von den obersten Regierungsstellen feierlich zugesagt wurde, insbesondere aus Anlaß der Annexion, bei welcher Gelegenheit in ganz unzweideutiger Weise Achtung und Schutz für unsere Sprache, unsere Kultur, unsere Sitten und Gebräuche zugesichert wurde. Ich will, um das gegenwärtige „Freiheits-Regime“, in dem wir leben, richtig zu charakterisieren, nicht einmal sprechen von kleinlichen Polizeigeiste, der das gesamte öffentliche Leben überwacht, ja zum Teil auch das Privatleben (…) ich will die Kammer nicht langweilen mit der Aufzählung aller Fälle von polizei-geistiger Knebelung, die wir ja Tag für Tag feststellen können, wenn wir wollen. (…) Aber wenn man nicht liberal regieren will, man könnte wenigstens verlangen, daß auf gesetzlicher Basis regiert würde. Wir sind auch davon weit entfernt, Den Generalkommissariente steht keine gesetzgeberische Kompetenz zu. Was verschlägt das! Der Generalkommissär maßt sich diese Kompetenz einfach zu (…)“

Astrid Panizza

panizza.astrid@gmail.com

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