Der Konflikt um die Anwendung des Corbino-Gesetzes
Im Jahr 1921 wurde in Südtirol und dem Trentino – nach italineischer Lesart der damaligen Zeit „terre redente“ („erlöste Gebiete“) - das Corbino-Gesetz angewendet, das vorsah, dass Schüler italienischer Muttersprache an italienischen Schulen unterrichtet werden mussten.
Als Schüler „italienischer Muttersprache“ galten allerdings auch alle deutsche Schüler im Südtiroler Unterland – auch wenn es dort einen weit überwiegenden deutschen Bevölkerungsanteil gab.
Viele Familien verweigerten sich diesem Zwang, schickten ihre Kinder weiterhin auf deutsche Schulen und verstießen damit gegen das Gesetz. Die Anwendung des Gesetzes erfolgte sehr zögerlich und wurde erst 1922 umgesetzt. Dies führte dazu, dass einige Familien nachgaben und ihre Kinder in die italienische Schule schickten, während andere um ihr Recht auf deutsche Schule weiterkämpften.
In einem Artikel des „Nuovo Trentino“vom 28. April 1922 zu diesem Thema heißt es, dass von den 290 Schülern in der „gemischten Zone“, die von der italienischen Schulverwaltung verpflichtet worden waren, die italienische Schule zu besuchen, 223 sich schließlich gefügt hätten und die restlichen 65 ihren Widerstand fortsetzten. Die meisten von ihnen stammten aus der Gemeinde Salurn.
Weiter heißt es in dem ausgesprochen polemischen Artikel: „In den letzten Wochen ist die Zahl der Renitenten noch weiter gesunken, weil einige den Widerstand spontan aufgegeben haben und andere auf Anweisung in die deutsche Schule zurückgeschickt wurden, da die italienischen Lehrer angewiesen wurden, dem Kommissariat alle Fälle zu melden, in denen der weitere Umgang mit den Schülern Fehler in der Beurteilung an den Tag gelegt hatte.“
Aber das war noch nicht alles. Die deutschsprachigen Abgeordneten des Südtiroler Landtags legten Beschwerde ein, woraufhin der Bildungsminister intervenierte und erklärte, dass „die Beschwerde in dritter Instanz mit aufschiebender Wirkung für die Umsetzung des Gesetzes zugelassen werden sollte“.
Aus dem Artikel geht jedoch hervor, dass „sowohl die Deutschen als auch das Ministerium das Gesetz gegen sich haben, wenn sie die aufschiebende Wirkung von Beschwerden durchsetzen wollen, da das Schulgesetz vorsieht, dass die Provinzschule eine solche Aussetzung ablehnen kann, wenn Gründe der öffentlichen Ordnung dies erfordern. Nun“, so heißt es in dem Artikel weiter, da die Schulbehörde der Provinz dies bereits beschlossen hat, hat das Ministerium nicht mehr das Recht, diese Entscheidung aufzuheben.“
„Im Grunde“, so die Zeitung weiter, „geht es um die Anwendung eines Gesetzes zum Schutz der italienischen Minderheiten [...] in einem Gebiet, in dem eine lange Periode der Germanisierung den Charakter und die Aufgabe der Grundschulen entstellt hat.“
Der Nuovo Trentino schloss mit einer Drohung, die an die kurz später getroffenen Maßnahmen der Faschisten erinnert: „Wir hoffen, dass eine rasche Regelung der Angelegenheit die rasche Anwendung des Corbino-Gesetzes gewährleisten wird. [...] Und wir verzichten für heute auf jene offensichtlichen Überlegungen politischer Natur über die Art und Weise der Verwaltung der neuen Provinzen, die uns in diesem Fall, wie in vielen anderen, nahelegen würden“.
Atrid Panizza
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