Bayern, Tirol und Mussolini
Die „Innsbrucker Nachrichten“ vom 6. Dezember 1922 gehen einem Gerücht auf den Grund, das in österreichischen Kreisen kursiert: dass die Entnationalisierungskampagne der Faschisten in Bayern und weiteren Teilen Deutschlands Unterstützung finden würde.
Einem Abgesandten Mussolinis wurde allerdings in München und Berlin deutlich gemacht, dass dem nicht so sein wird. Interessant dabei: auch Adolf Hitler wird im Zusammenhang mit Südtirol zitiert – damals noch als Gegner der bayrischen Separatisten, denen Sympathien für Mussolini unterstellt wurden.
So liest man es:
„Zu der von einzelnen Blättern gebrachten Meldung, wonach zwischen Bayern und Mussolini Beziehungen bestehen sollen, erhalten wir von unterrichteter Seite aus München nachstehende Aufklärungen: Mussolini hat in der Tat vor nicht langer Zeit
durch einen Vertrauensmann inoffiziell, sowohl in München, wie auch in Berlin, anfragen lassen, wie sich die deutsche Politik zu der österreichischen Frage im allgemeinen und zu Südtirol im besonderen stelle. Vermutlich wollte Mussolini, bevor er sich in Lausanne mit Lord Curzon und mit Poincare an den Beratungstisch setzte, über die außenpolitische Haltung der deutschen Regierung in Bezug aus Österreich unterrichtet sein. Dass Mussolini sich sowohl nach Berlin als auch nach München gewendet hatte, ist wohl aus der von ihm gehegten Annahme zu erklären, dass in Nord- und Süddeutschland über diese Frage verschiedene Auffassungen bestehen dürften, und dass es daher zweckmäßig wäre, beide Anschauungen kennen zu lernen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Mussolini in Territet, wo bekanntlich seine erste Zusammenkunft mit den zwei verbündeten Staatsmännern stattfand und wo auch das bekannte famose Tauschgeschäft Orient-Rheinland zwischen England und Frankreich zustande kam, auch seinerseits einen Handel zur Sprache bringen wollte.
Ob dieser Handel nun mit dem bekannten Aspirationen Mussolinis aus eine neutrale Alpenkonföderation zusammenhängt oder ob Mussolini den französischen Plänen, die aus der Zersetzung Deutschlands durch Schaffung eines Großbayerns hinziehen, dadurch Vorschub leisten wollte, dass er hintenherum die Stimmung in zwei Brennpunkten der deutschen Polittk erkundete, läßt sich schwer sagen, denn sein Vertrauensmann schien über die Absichten seines Auftraggebers selbst „ungenau" unterrichtet zu sein. In Berlin soll Mussolini die Antwort erhalten haben, dass Deutschland vor einer schweren inneren Krise stehe, und dass die Regierung sich deshalb in allen außenpolitischen Fragen, also auch bezüglich Österreich und Südtirol desinteressiert verhalten müsse, ungeachtet der ideellen Bande, die das deutsche Volk mit jenem in Österreich verbinden. In München liess man aber Mussolini h wissen, dass es dem deutschen Volke absolut nicht gleichgültig sei, wie die Südtiroler behandelt werden, man gab dem italienischen Ministerpräsidenten auch zu verstehen, dass er sich in Deutschland keine Sympathien erwerben werde, wenn die Südtiroler weiterhin völkisch entrechtet werden. Bezüglich Österreich mußte der Abgesandte Mussolinis in München hören, dass man in Bayern die Bemühungen der österreichischen Regierung, den Staat zu sanieren, mit größtem Interesse verfolge und dem Bundeskanzler Dr. Seipel den besten Erfolg wünsche. Diese Antwort scheint Mussolini nicht sehr befriedigt zu haben, denn es kam zu keiner weiteren Aussprache mehr.
Wenn nun in einem Teil der Presse die Angelegenheit so dargestellt wird, als ob zwischen Bayern und den italienischen Faschisten direkte Beziehungen bestanden und sich verschiedenerlei Fäden zwischen Rom und München knüpften, so ist das nur auf eine tendenziöse Berichterstattung zurückzuführen. Es gibt allerdings in Bayern eine Gruppe von Politikern - Namen tun nichts zur Sache — denen jedes Mittel und jede Hilfe recht wäre, um ein Großbayern oder wie das süddeutsche Königreich sonst heißen würde, zu schaffen. Aber auch diese blauweißen Politiker wurden heute nichts unternehmen, was die Reichseinheit gefährden könnte, übrigens wurden sie von der radikalnationalen Gruppe, die unter Führung Hitlers steht, immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Hitler, der Führer der deutschen Nationalsozialisten, ist aber der Ansicht, dass die Österreichische und auch die Südtiroler Frage im besonderen nicht allein, sondern nur zusammen mit der großen deutschen Frage selbst werden könne. Vorher müsse aber das deutsche Volk im Innern des Staates Ordnung machen und sich zu einer starken nationalen Einheitsfront zusammenschliessen Hitler und Mussolini verfolgen daher die gleiche Politik. Aus dem gleichen Strsden ergibt sich aber mit logischer Konsequenz, dass zwischen München und Rom politische Geschäfte auf Kosten eines deutschen Volksteiles nicht gemacht werden können. Der beste Beweis für die Deutlichkeit der Absage, die Mussolini in München erhalten hat, ist die gehässige Haltung, die er seit kurzem gegenüber Deutschland in der Reparationsfrage bekundet“.
Astrid Panizza
panizza.astrid@gmail.com