Quelle: http://data.onb.ac.at/AKON/AK062_517
„Die nationale Unterdrückung des Deutschtums in Südtirol“
Vorgeschmack auf die faschistische Italianisierungspolitik im Unterland
Mit dem königlichen Dekret vom 21. Jänner 1923 wurden nicht nur die ladinischen Gemeinden des Souramont an die Provinz Belluno angegliedert, sondern auch das Südtiroler Unterland wurde dem Gerichtsbezirk Cavalese zugesprochen.
Diese innerstaatlichen Grenzänderungen waren nicht nur höchst umstritten – siehe den Artikel von der vergangenen Woche – sie bedingten auch tiefgreifende Einschnitte in das Leben der Betroffenen. So sollte die deutsche Minderheit im neuen Bezirk alsbald einen Vorgeschmack auf die Italianisierungsmaßnahmen der Faschisten zu spüren bekommen. Am Freitag, 13. April berichten die „Bozner Nachrichten“ auf ihrer Titelseite ausführlich über „Die nationale Unterdrückung des Deutschtums in Südtirol.“
„Die Zuteilung des Bezirkes Neumarkt und der Marktgemeinde Tramin an den politischen Bezirk Cavalese trägt bereits Früchte. Sie hat zur Folge gehabt, daß jetzt die Entnationalisierungsdekrete vom Berg herunter ins Etschtal gelangen. Die Unterpräfektur Cavalese verbietet mit Erlaß vom 3. April die deutschen oder gemischtsprachigen Aufschriften, Inschriften, Firmentafeln, Anzeigen, Geschäftspapiere, Reklamen usw. Ein tiefgreifender Eingriff ins nationale, bürgerliche und geschäftliche Leben.“
Die Unterpräfektur Cavalese beruft sich bei ihrem Vorgehen auf eine Verordnung der königlichen Präfektur Trient, dazu schreiben die „Bozner Nachrichten“:
„Es ist im Unterland nicht bekannt, daß eine Verordnung der kgl. Präfektur vom 27. März die Ausrottung der deutschen Inschriften und Kundmachungen in den Gemeinden Aldein, Branzoll, Auer, Neumarkt, Gfrill, Montan, Salurn, Kurtinig, Margreid, Kurtatsch und Tramin vorgeschrieben hätte.
[...]
Doch das nur nebenbei. Der Rechtsstandpunkt ist niemals und nirgends maßgebend, wo ein System herrschend ist, welches auf die Unterdrückung einer wehrlosen Minorität und die Entnationalisierung eines kleinen Volkes abgestimmt ist. [...] Die Bevölkerung in den Gemeinden des Unterlandes ist einmal zur überwiegenden Mehrheit deutsch. Sie erscheint durch die Verfügung der Unterpräfektur Cavalese in ihren Geschäfts-, Verkehrs- und Erwerbsinteressen in empfindlicher Weise benachteiligt.
[...]
So ist es z.B. auch auf dem Gebiete der Schule. Das Schulgesetz, welches nach dem früheren Unterrichtsminister Corbino genannt ist, verfügt, daß nur italienische Schulkinder die italienische Schule zu besuchen haben und welches italienische Familien sind, darüber entscheide der Sprachgebrauch in der Familie und das Bekenntnis der Eltern. Entgegen diesem Gesetz werden in einer Reihe von Gemeinden des Unterlandes die deutschen Schulkinder in die italienische Schule gezwungen beziehungsweise wurde in diesen Orten – St. Jakob, Leifers, Branzoll, Neumarkt, Salurn – die deutsche Schule unterdrückt.
[...]
Diese geänderte Auffassung ist für die deutsche Bevölkerung umso weniger verständlich, weil wir sehen, wie auch das heutige Italien die nationalen Interessen der italienischen Volksgenossen, wo sie gefährdet erscheinen, wie einen Augapfel behütet“, rufen die „Bozner Nachrichten die Situation in Tunis in Erinnerung. Italien wehre sich „bei wiederholter Gelegenheit mit aller Kraft und Entschiedenheit“ und zeige sich „in keiner Weise gewillt, die nationale Unterdrückung seiner Volksgenossen zuzulassen. Die deutsche Bevölkerung ist der Meinung, daß sie vom italienischen Staate wohl dasselbe Ausmaß von Schutz ihrer nationalen Rechte beanspruchen dürfte. Die deutsche Bevölkerung Südtirols hat alle Lasten und Verpflichtungen zu tragen, welche der Staat auferlegt, sie trägt die Militärlast und die schweren Steuerlasten. Sollte sie dafür nicht das Anrecht auf die bestmögliche Obsorge für ihre wirtschaftlichen, kulturellen und nationalen Rechte seitens des Staates besitzen? Man möchte es meinen. Anstatt dessen aber steht sie vor einem ganz offenkundig proklamierten System der Unterdrückung. ‚Soppressione della scuola tedesca‘ – ‚Unterdrückung der deutschen Schule‘ heißt die Parole im ‚Piccolo Posto‘ und Unterdrückung der deutschen Aufschriften heißt sie im Erlaß des Cavaleser Unterpräfekten.
13.04.2023 - Maria Pichler