Vor 100 Jahren

„Sie haben in deutscher Sprache gebetet“
Quelle: Simplicissimus, 3. Dezember 1923

„Das beste Mittel, um die abgerissenen Landesteile ihr Unglück nie vergessen zu lassen“

Tolomei präsentiert sein 32-Punkte-Programm zur Italianisierung Südtirols

Am 15. Juli 1923 verkündete Senator Ettore Tolomei im Bozner Stadttheater sein 32-Punkte-Programm zur Italianisierung Südtirols. Die Südtiroler Zeitungen berichteten in den darauffolgenden Tagen ausführlich über die „provvedimenti per l’Alto Adige“, aber auch im deutschsprachigen Ausland wurden die „großzügigen Pläne der Italienisierung Südtirols“ genau verfolgt.

Das Leipziger Tageblatt und Handelszeitung schreibt auf seiner Titelseite vom 22. Juli 1923 über „Faschismus und Deutschtum“: 

„Die Neue Freie Presse bringt einen der Meraner Zeitung entnommenen Bericht über eine im Bozener Stadttheater gehaltene Rede des italienischen Senators Tolomei, worin der Senator über die Maßnahme[n] sprach, die der Faschismus für notwendig hält, um aus Deutsch-Südtirol eine in jeder Beziehung italienische Provinz zu machen. Die großzügigen Pläne zur Italienisierung Südtirols wurden, wie Tolomei sagte, im März dieses Jahres vom großen faschistischen Rat gebilligt. Mussolini selbst habe sich mit diesen Plänen einverstanden erklärt. Danach sollen die Namen Südtirol und Oberetsch künftighin überall verboten werden und nur die Namen ‚Trentino‘ und ‚Alto Adige‘ zugelassen werden. In der Verwaltung, in den Schulen, in der Dislozierung der Truppen soll die große Offensive gegen das Deutschtum Südtirols begonnen werden. Die Amtssprache müsse in allen Aemtern die italienische sein. An das Deutschtum oder an frühere Verhältnisse erinnernde Denkmäler müssen fortgeschafft werden. In allen Gemeinden, auch in den deutschen, werden die Gemeindesekretäre nicht mehr gewählt, sondern von der Regierung entsandt, und zwar muß der Gemeindesekretär immer ein Italiener sein. Der Faschismus ist sich wohl bewußt, daß eine Entnationalisierung nicht möglich ist, wenn es nicht gelingt, die Beziehungen zwischen den Deutschen Südtirols und den Deutschen außerhalb Italiens zu unterbinden. Deshalb verlangt die italienische Politik in den Beziehungen zu Deutschland absolute Desinteressiertheit Deutschlands hinsichtlich der Deutschen in Südtirol. Jeder Schritt zu einer möglichen Einigung Tirols oder des ganzen Oesterreichs mit Deutschland wird dann ermöglicht, wenn Deutschland absolut und ausdrücklich für immer auf ‚Oberetsch‘ verzichtet. 

Tolomei schloss mit den Worten: ‚Die Deutschen können ihren transalpinen Vorposten vergessen, gleich wie Italien gerechterweise das transalpine Savoyen seiner Könige und Frankreich das Aosta-Tal vergessen hat.‘

*

Diese höchst unglückliche Behandlung der deutschen Minderheiten wird [für] Deutschland schmerzlich sein, für Italien aber erst recht einen Pflock im Fleisch bedeuten. Denn solche Behandlung ist das beste Mittel, um die abgerissenen Landesteile ihr Unglück nie vergessen zu lassen. Der Faschismus hat über die Sozialdemokraten und Popolari gesiegt; die hier geschilderten Maßnahmen deuten fest darauf hin, als sei dem Faschismus daran gelegen, sich in den Minderheiten neue Feinde zu machen.“ 

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