Vor 100 Jahren

Quelle: AKON/Österreichische Nationalbibliothek
Im Alpinen Museum in München befand sich ab Mitte der 1920er ein Relief mit dem Titel „Die geraubte Stadt“, das alle Schutzhütten des DuOeAV in Italien zeigte, darunter das Schlernhaus - Symbol für die Enteignung der Südtiroler Alpenvereinssektionen während des Faschismus

Schutzhütten: „Die geraubte Stadt“

Die Südtiroler Alpenvereinssektionen werden aufgelöst und enteignet

Wer in den Südtiroler Bergen unterwegs ist, fragt sich vielleicht, weshalb so manche Schutzhütten nach deutschen (oder ehemals deutschen) Städten benannt sind, wie etwa die Stettiner, die Düsseldorfer oder die Regensburger Hütte. Diese Schutzhäuser waren von den jeweiligen Sektionen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DuOeAV) errichtet und/oder finanziert worden. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Annexion Südtirols durch Italien ordnete Präfekt Giuseppe Guadagnini im September 1923 „aus Gründen nationalen Interesses und der öffentlichen Ordnung“ die Auflösung der Südtiroler Alpenvereinssektionen und die Übertragung der Schutzhütten an eine Sektion des Club Alpino Italiano (CAI) an. Und so wurden die Hütten umbenannt in Rifugio Petrarca, Rifugio Serristori und Rifugio Firenze. 

Die „Bozner Nachrichten“ veröffentlichen in ihrer Ausgabe vom 5. September 1923 die Verordnung zur Auflösung der Alpenvereinssektionen ohne weiteren Kommentar, „Der Landsmann“ hingegen hinterfragt die Rechtsgrundlage und kommt zum Schluss: „Als einziger stichhaltiger Grund bleibt also nur das ‚nationale Interesse.‘ Diese ist also die Rechtsgrundlage für die Verordnungen gegen das Deutschtum und seine Lebensäußerungen […].“ 

Die Auflösung des Südtiroler Sektionen des Alpenvereins ist auch in zahlreichen in- und ausländischen Medien Thema, darunter in den „Nachrichten der Sektion ‚Donauland‘ des Dt. und Österr. Alpenvereins‘, die im Heft 27/1923 von der 49. Jahreshauptversammlung des Vereins in Tölz berichten:

„Exz. v. Sydow [der Erste Vorsitzende des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins] gedachte dann unserer Stammesbrüder im deutschen Südtirol, denen man nun nicht nur die Führung des Namens ‚Südtirol‘ verboten habe, gegen die vielmehr die italienische Regierung gerade in diesen letzten Tagen den harten Schlag führte, die Auflösung der Deutschen Alpenvereine zu verfügen und ihr Eigentum zu beschlagnahmen. [Der] Redner schloß mit den Worten: 

‚Die Italiener legen Wert darauf, sich als Nachkommen der Römer zu fühlen. Dann sollen sie aber auch bedenken, daß von diesen die Grundlage aller modernen Gesetze stammt und daß kein Volk den Eigentumsbegriff so scharf herausgearbeitet hat, wie gerade die Römer!

Wir wollen heute keinen papierenen Protest erheben, aber Eines wollen wir vor aller Welt unseren bedrängten Brüdern in Südtirol zurufen: Wir tragen sie treu im Herzen, wir fühlen das an ihnen geübte Unrecht als uns selbst angetan, denn sie sind nicht nur unsere Stammesbrüder, sondern auch unsere Vereinsgenossen. Wir wollen ihnen wie uns selbst weiter zurufen: Nicht verzweifeln! An die bessere Zukunft glauben! Wenn anders die Weltgeschichte noch einen Sinn haben soll, dann wird das Wort sich erfüllen: Recht muß Recht bleiben!‘ Stürmischer Beifall.“

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte der 1946 neu gegründete Alpenverein Südtirol (AVS) als Rechtsnachfolger der alten Südtiroler DuOeAV-Sektionen vergeblich, die enteigneten Schutzhütten wieder zurückzubekommen, und erhielt schließlich eine Entschädigung. Nach der Übergabe eines Teils der Schutzhütten an das Land zeichnet seit 2011 eine paritätische Kommission mit sowohl AVS- als auch CAI-Vertretern für die öffentliche Vergabe der Führung der Hütten verantwortlich. 

07.09.2023 - Maria Pichler

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