Vor 100 Jahren

Der Landeskulturrates für Tirol in Innsbruck führte 1923 die Hausweberei ein, förderte den Ankauf von Webstühlen und gründete eine Webschule
Quelle: Webschule des Bildungszentrums LLA Imst

Weg zur Selbsthilfe

Tirol führt die Hausweberei ein

Vor hundert Jahren waren nachhaltige Kleidungsstücke keine bewusste Entscheidung, sondern eine bittere Notwendigkeit. Kleidungsstücke hatten einen völlig anderen Wert als heute und wurden oft zehn Jahre und länger bei der tagtäglichen Arbeit getragen, das Festtagsgewand war eine Investition fürs Leben. 

Um der bäuerlichen Bevölkerung eine Nebenerwerbsquelle zu erschließen, führte das Präsidium des Landeskulturrates für Tirol in Innsbruck im Jahr 1923 die Hausweberei ein, förderte den Ankauf von Webstühlen und gründete eine Webschule. Die ersten Kurse leitete die Fachlehrerin Tilly Knauer aus Berlin-Steglitz, die in einem ausführlichen Bericht zur „Einführung von Handweberei für den Hausgebrauch auf dem Lande durch den Landeskulturrat in Innsbruck“ in der „Tiroler Bauernzeitung“ vom 21. September 1923 schreibt: 

„Immer enger umschnürt uns der Ring harter Einschränkungen, unaufhaltsam sinkt unser Lebenszuschnitt in unserem deutschen Vaterlande, auch in Tirol wird es gewiß noch nicht viel besser sein. Wäsche und Kleidermangel tritt hier in den weitesten Kreisen immer mehr hervor. In den Gemeindeschulen, in den größeren Städten haben oft die Hälfte der Kinder kein Hemd, auch keinen Mantel im Winter an. Bei vielen Kindern ist das, was sie von Kleidern tragen, ihr einzigstes! Viele können die Schule nicht besuchen, weil sie nichts Ordentliches anzuziehen haben. Besonders hart ist der Wäschemangel in der Säuglingspflege; die Anschaffung eines größeren Vorrates von Windeln ist vielen unmöglich. 

Wenn man sich alles dieses klar macht, begreift man die Not vieler Familien in den Städten. Auch auf dem Lande macht sich der Wäschemangel sehr fühlbar, ein Wäschevorrat wie vor dem Kriege, ist in den wenigsten Häusern zu finden, die Wirtschaftswäsche nimmt bedenklich ab, sie wird sehr dünn, man findet Loch bei Loch.

Doch die Landbevölkerung kann sich selbst helfen! Jede Landfrau sollte jetzt sofort eingreifen und nicht warten, bis es zu spät ist. Je schwerer und ernster die Zeit ist, um so nützlicher ist Spinnen und Weben auf dem Lande; man weiß nicht, wie hart es noch kommt, das Sicherste und Beste bleibt immer die eigene Arbeit; dadurch macht das Land sich frei und unabhängig von der Außenwelt, man erhält dadurch seinem Vaterlande einen Stand, der allen Stürmen Trotz bieten kann. Gerade die Landwirte brauchen für sich und ihre Leute starke Stoffe für die schwere Landarbeit. Gerade sie, die selbst das Rohmaterial schaffen, kommen am leichtesten und am billigsten durch Selbstherstellung dazu. Keine Wirtschaft ist zu fein, um Schafe zu halten, um Flachs zu bauen, wenn der Boden sich eignet. […]

Wo im Winter fleißig gesponnen und gewebt wird, dort ist Wohlstand im Hause. Da gibt es heute noch gefüllte leinen- und Kleiderschränke und gute Strümpfe! […] 

Selbst gesponnen, selbst gemacht - rein dabei, ist Bauerntracht!“

21.09.2023 - Maria Pichler

Andere Artikel dieser Kategorie