„Den Unterricht in der Familie vermag kein Dekret zu verbieten“
Italianisierung der Südtiroler Schulen: Mailänder Fachblatt wirft Fragen auf
Die Italianisierung der Schule zählt für die deutschsprachige Südtiroler Bevölkerung zu den einschneidensten faschistischen Maßnahmen: Ab 1923 wird in den Volksschulen schrittweise die italienische Unterrichtssprache eingeführt. Die Südtiroler Mütter wehren sich, organisieren eine Protestkundgebung, senden Telegramme an Ministerpräsident Mussolini und Königin Elena und sammeln 50.000 Unterschriften für den Erhalt der deutschen Schulen – jedoch ohne Erfolg.
„Das einer Kulturnation so unwürdige Mittel wird in Südtirol schon deshalb versagen, weil dort jedes Elternhaus zur Privatschule werden kann, und den Unterricht in der Familie vermag kein Dekret zu verbieten,“ sieht das Mailänder Fachblatt „La scuola“ bereits im Herbst 1923 die Südtiroler Katakombenschulen voraus. Die Tageszeitung „Neues Wiener Tagblatt“ zitiert in seiner Ausgabe vom 4. November 1923 die italienische Zeitschrift, die etliche Fragen zur Italianisierung der deutschen Volksschulen aufwirft:
„Die Italianisierung der deutschen Volksschulen Südtirols veranlaßt selbst das Mailänder Fachblatt ‚La scuola‘ (Die Schule) zu einer Reihe von Fragen: ‚Wie will man die italienische Unterrichtssprache einführen? Welche Bücher sollen angewendet werden? Was kann man sich vom Unterricht in den ersten Jahren erwarten? Wer soll den Unterricht übernehmen? Was geschieht mit den deutschen Lehrern? Sollen Privatschulen mit deutscher Unterrichtssprache erlaubt werden? Die deutschen Kinder werden als Halbanalphabeten die italienischen Schulen verlassen, deutsche Privatschulen würden, wenn man sie zuläßt, überfüllt sein. Das einer Kulturnation so unwürdige Mittel wird in Südtirol schon deshalb versagen, weil dort jedes Elternhaus zur Privatschule werden kann, und den Unterricht in der Familie vermag kein Dekret zu verbieten. Das auf Entnationalisierung abzielende Vorgehen gegen die annektierten Deutschen Südtirols vermag auf die Dauer weder den Namen Tirol aus der Geschichte zu streichen, noch dem Volke Andreas Hofers deutsches, tirolisches Fühlen und Denken auszutreiben, es vermag nur, die Tiroler Volksseele zu verwunden, das Gefühl des Exils und der Fremdherrschaft zu vertiefen, die Sehnsucht nach dem Vaterlande Wachzuhalten und wird sich als das schwerste Hindernis einer Verständigung zwischen Deutschen und Italienern erweisen.‘
02.11.2023 - Maria Pichler