Vor 100 Jahren

Stimmzettel für die Parlamentswahlen 1924;
Quelle: Fondazione Museo Storico del Trentino

Die letzten freien Wahlen in Italien

Parteien stellen ihre Kandidatenlisten vor

Die italienischen Parlamentswahlen von April 1924 waren die ersten Wahlen nach dem sogenannten Marsch auf Rom 1922 und bis 1946 die letzten noch teilweise freien Wahlen, bei denen mehr als eine Partei antreten durfte. Mithilfe eines neuen Wahlgesetzes wollte sich Ministerpräsident Benito Mussolini dabei die Macht sichern. Der Deutsche Verband in Südtirol musste aufgrund der Wahlordnung eine Listenverbindung eingehen und schloss sich mit den Vertretern der Slowenen und der Kroaten in Julisch-Venetien zusammen. In ihrer Ausgabe vom 22. Februar stellen die Bozner Nachrichten „Unsere Kandidaten für die Kammerwahl: Dr. Karl Tinzl in Schlanders, Dr. Paul Frh. v. Sternbach in Uttenheim bei Bruneck, Ignaz Mumelter, Gutsbesitzer in Haslach, Stadtgemeinde Bozen.“ vor: 

„Was sollen wir zu den Kandidaten sagen? Sehr vielen Wählern sind die drei Herren ohnedies bestens bekannt. Jedenfalls ist das der Fall in jenen Bezirken, wo die einzelnen Herren ihren Wohnsitz haben. 

Im ganzen Land kennt man jedenfalls den Listenführer Dr. Karl Tinzl. Es ist der bisherige Abgeordnete, der als einziger von den 1921 vier gewählten Abgeordneten noch die gegenwärtige Kandidatenliste ziert. Wir sagen mit Absicht und Überzeugung, daß er sie ziert. Tinzl ist nämlich ein Mann, der nach seinen geistigen Fähigkeiten, nach seinem Wissen, seiner Gesetzeskenntnis, seinem Arbeitseifer und seinen liebenswürdigen Umgangsformen und seinem Entgegenkommen gegen[über] jedermann, der sich an ihn wendet, den Leuten als der prädestinierte Volksvertreter vor Augen schwebt. […]

Baron Sternbach ist nicht allein eine Kapazität in Gesetzes- und Verwaltungsangelegenheiten, sondern auch Fachmann in landwirtschaftlichen Fragen und praktisch ausübender Landwirt. Seine Tätigkeit als früherer Landtagsabgeordneter und Landesausschußmitglied ist noch immer rühmlichst bekannt. Besonders sein Fleiß und seine unermüdliche Arbeitslust. […]

Ignaz Mumelter, Hofbesitzer in Haslach-Bozen, ehemaliger Gemeinderat der Stadt Bozen und in den verschiedensten Genossenschaften und Kommissionen. […] Mumelter ist nicht allein Kenner der landwirtschaftlichen Interessenszweige, sondern das Vertrauen der Wähler, welches ihn seinerzeit in den Gemeinderat der Stadt Bozen berief, hat ihm auch weitere Fähigkeiten zugetraut, die er denn auch im Gemeinderat praktizieren und erweitern konnte. […]“

Im Trentino ist die Parteienlandschaft etwas verworrener, obwohl laut den Bozner Nachrichten „die Bildung von liberalen Listen mit allen Mittel verhindert werden soll, da hier die faschistische Stimmenzahl ohnehin nicht gerade groß ist. Immerhin registriert der N[uovo] Trentino heute bereits, daß trotz der von der liberalen Partei in Trient ausgegebenen Wahlenthaltungsperiode eine liberale Liste aufgestellt werden dürfte, wie aus diesen Kreisen verlautet. Auch die Republikaner melden sich zum Wahlkampf an. […] Die Sozialisten gehen nun – Einigkeit macht stark! – in drei Parteien zersplittert zur Wahlschlacht vor: Die Kommunisten […]. Die Maximalisten […] und die gemäßigten Sozialisten.“

 

22.02.2024 - Maria Pichler

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