„Schwerer Schlag gegen unsere Volkswirtschaft“
Gebäude dürfen nur nach Zustimmung des Militärs errichtet werden
Ab 1924 dürfen in Südtirol aufgrund einer neuen „Regelung der Rechtsstellung des Grenzeigentums“ Gebäude nur mehr mit Zustimmung des Militärs errichtet werden. Was dieser „schwere Schlag gegen unsere Volkswirtschaft“ konkret für die Bevölkerung bedeutet, erklärt Der Landsmann in seiner Ausgabe vom 26. Juli 1924:
„Dieses Dekret teilt die Provinz in zwei Zonen A und B, von denen die Zone A der Grenze näher liegt und mit dem Sprachgebiet der ‚Fremdsprachigen‘ ungefähr zusammenfällt, während die Zone B den übrigen Teil der neuen Provinzen, das Siedlungsgebiet der Italiener umfasst. Laut ‚Tabelle A‘ umfasst die 1. Zone in der Provinz Trient: Das ganze Gebiet der Unterpräfekturen Bozen, Meran und Brixen sowie das ganze über 1500 Meter Höhe gelegene Gebiet der Provinz […] Das deutsche Unterland, die deutschen Gemeinden im Fleimstal und im Nonsberg fallen in die Zone B. […] Das Gleiche gilt für die Gemeinden der Gerichtsbezirke Bruneck (samt Sand in Taufers) und Enneberg.
[…]
In der Zone A ist ohne vorherige Bewilligung der Militärbehörde jeder Akt, der irgendwie eine Veränderung in der Oberfläche des Bodens mit sich bringt, verboten. Nicht nur, daß Gebäude, Straßen, Bahnen, Wasserkraft- und Elektrizitätswerke weder erbaut noch zerstört werden dürfen; auch Grabungen jeder Art, Aufschüttungen von Material und selbst auch bloß teilweise Entwaldungen müssen durch die Militärbehörde bewilligt werden. Diese Bewilligung wird von der zuständigen Militärbehörde (welche Militärbehörde zuständig ist[,] wird nicht gesagt), nach Prüfung der vorgelegten Zeichnungen und Projekte erteilt, aber nur dann, wenn die geplante Bauführung dem Grenzschutz keinen Schaden zufügt und der Eigentümer sich der grundbücherlich einzutragenden Bedingung unterwirft, daß er auf einfache Anforderung der Militärbehörde die Bauführung niederlegt, gegen Anspruch auf die im Enteignungsgesetze vom 25. Juni 1865 Nr. 2359 vorgesehene Entschädigung. Weiters steht der Militärbehörde jederzeit das Recht zu, aus Gründen öffentlichen Interesses die Niederlegung von Bauführungen zu verlangen, wobei dem Eigentümer bloß der vorhin genannte Entschädigungsanspruch zusteht. Schließlich hat die Militärbehörde das Recht, in dieser Zone über alle unbeweglichen Güter eine beständige Aufsicht zu führen.
[…]
Die vorherige Bewilligung des Präfekten ist erforderlich für jeden Akt von Uebertragung von Eigentumsrechten oder von Besitz an beweglichen Gütern sowie für die Bestellung von Nutzungs- und Nutznießungsrechten, von Ausgedinge und Erbpacht; selbst Miet- und Pachtverträge sind dieser Bewilligung unterworfen. […]
In der Zone B (Unterland, Gerichtsbezirke Bruneck und Enneberg) ist bloß die Erbauung neuer Reichsstraßen und Reichseisenbahnen, von Privateisenbahnen, Provinzial-, Gemeinde- und Vizinalstraßen sowie von großen Industrieanlagen von der vorherigen Bewilligung der Militärbehörden abhängig, bei der auch die Genehmigung der Durchführung von Gemeindeverbauungsplänen angesucht werden muss.
[…]
Die Auswirkungen dieses neuen Dekretes über die Eigentumsbeschränkungen kann man sich wohl leicht ausmalen. Wenn ich auf meinem eigenen Grund und Boden ein Haus bauen will, so muß ich außer der Gemeinde auch noch die Baupläne der Militärbehörde vorlegen und den Bau genehmigen lassen. Ja ich muß mich sogar grundbücherlich verpflichten, ‚auf jede Aufforderung hin die Demolierung des Hauses vorzunehmen.‘ Eine solche Verpflichtung wird kaum dazu beitragen, die Baulust zu fördern, obwohl ohne Zweifel auch bei uns der Wohnungsmangel sehr groß ist.
[…]
Ein Bauer, der einem treuen Dienstboten, der nun arbeitsunfähig geworden ist, in seinem Hause ein Wohnrecht oder ein Ausgedinge einräumen will, braucht hierzu die Genehmigung des Präfekten. Ebenso braucht er dieselbe für die Verfügung einer Erbpacht oder für die Schenkung eines Grundstückes. Genau genommen darf ein Hauseigentümer gar nicht mehr einmal ein Zimmer oder eine Wohnung vermieten, ohne daß hierzu die Genehmigung des Präfekten vorliegt.“
25.07.2024 - Maria Pichler