Vor 100 Jahren

Noch vor den Vereinten Nationen und dem Völkerbund ist 1889 die Interparlamentarische Union gegründet worden, seit 1921 hat sie ihren Sitz in Genf in der Schweiz
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Südtirol auf dem internationalen Parkett

Minderheiten: „Die offenen Wunden schmerzen“

Die Südtirol-Autonomie gilt heute weltweit als ein Beispiel für eine erfolgreiche Minderheitenpolitik. Entscheidend dafür ist unter vielem anderen ihre internationale Verankerung durch den Pariser Vertrag 1946 und die UNO-Resolutionen in den 1960er Jahren. Aber bereits 1924 war der Minderheitenschutz in Südtirol und in anderen europäischen Ländern Thema auf dem internationalen Parkett: Im Spätsommer 1924 tagt die Interparlamentarische Union (IPU) in der Schweiz. Dabei handelt es sich – wie der teilnehmende Südtiroler Kammerabgeordnete Karl Tinzl beschreibt – um „eine Vereinigung von Parlamentariern aus aller Herren Ländern […], welche den Zweck hat, das gegenseitige Verständnis und die Achtung vor einander zu fördern und die Mittel zu suchen, um die Ursachen internationaler Konflikte und Kriegsgefahren, soweit als möglich aus der Welt zu schaffen.“ 

In seinem Bericht in der Tageszeitung „Der Landsmann“ vom 1. September 1924 schreibt Tinzl über die Tagung, die „unter dem Eindruck des soeben geschlossenen Londoner Abkommens und der geänderten französischen Politik gegenüber Deutschland“ steht, bei der sich aber auch die Interparlamentarische Union mit den europäischen Minderheiten beschäftigt und darum ringt, „ihren Beschlüssen auch praktische Geltung zu verschaffen“: 

Im Übrigen war der Gegenstand, welcher die Konferenz am meisten beschäftigte, wiederum die Minderheitenfrage der schlagendste Beweis dafür, daß sie unter allen internationalen Problemen, wenn nicht das wichtigste, so unter allen Umständen das heute aktuellste und brennendste ist Dabei muss bedacht werden, daß diese Frage heuer gar nicht auf der Tagesordnung der Konferenz stand. Aber die stets offenen Wunden schmerzen und die Vertreter der Minderheiten sollen nicht von dem schweigen, was für sie eine Frage auf Leben und Tod bedeutet. 

[…]

Die bedeutungsvollste Rede war zweifellos jene des Abgeordneten Dr. [Wilhelm]

v. Medinger [der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei], welche in dem Gedanken gipfelte, daß die interparlamentarische Union zu einer Ergänzung des Völkerbundes ausgestaltet werden müsse, derart, daß sie zu einem Völkerbundsparlament würde, das innerhalb der Kompetenz des Völkerbundes Beschlüsse mit bindender Kraft zu fassen berechtigt ist, während der Völkerbund in seiner jetzigen Gestalt weiterhin das ausführende Organ zu bleiben hätte. 

[…]

Nun wird freilich mancher fragen, was eigentlich die Wirkung und der praktische Erfolg dieser Tagung ist: […] Für heute nur eine Feststellung, und eine kurze indirekte Antwort:

Die Feststellung geht dahin, daß wir von der Tagung die Ueberzeugung nach Hause nehmen können, heut wie ehedem und zwar mit unserem alten Namen in der Welt bekannt und geachtet zu sein, Interesse und Sympathien zu genießen und zwar vor allem wegen der Treue, mit welcher wir unser Volkstum bewahren. An uns ist es, diese Achtung und Sympathie der Welt nicht zu verscherzen!“

 

05.09.2024 - Maria Pichler

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