Vor 100 Jahren

„[…] daß du, deutsche Mutter, dein Kind, wenn auch nicht mehr auf den Schoß, so doch unter deine Augen und deine Hände nehmen mußt, damit du des Kindes Auge übest im Lesen deutscher Schrift und seine Hand führest
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„Mit der deutschen Sprache geht auch die deutsche Seele verloren“

Südtirol organisiert einen Notunterricht

Da alle Ersuchen und Petitionen, Forderungen und Proteste der Südtiroler Bevölkerung für den Erhalt der deutschen Schule auf keinen fruchtbaren Boden fielen, beschlossen die Vertrauensmänner des Deutschen Verbandes auf ihrer Versammlung vom 11. November 1924, einen Familienunterricht zu organisieren. Das Volksblatt druckt in seiner Ausgabe vom 15. November den Beschluss im Wortlaut, in dem es abschließend heißt: 

„Die heute tagende Vertrauensmännerversammlung legt noch einmal feierlich Verwahrung ein gegen die Verletzung der elementarsten Grundrechte der Minderheiten, welche in der Unterdrückung unseres Schulwesens liegt. Sie erklärt, daß dieser Versuch unserer nationalen Vernichtung scheitern wird an dem einmütigen und felsenfesten Willen unseres Volkes, seine Sprache, Kultur und sein Volkstum zu bewahren, welcher durch den gegen uns geführten Kampf nur noch unbeugsamer und unerschütterlicher gemacht wird. Sie fordert noch einmal und erklärt, daß unser Volk von dieser Forderung nie und nimmer ablassen wird, daß unter voller Anerkennung der Nützlichkeit und Notwendigkeit auch die italienische Sprache zu erlernen, die Muttersprache die Grundlage des Unterrichtes bilden und die deutsche Schule wieder hergestellt werden muß. Sie fordert die Bevölkerung auf das Eindringlichste auf, eingedenk zu sein und zu bleiben, der schweren Gefahren für die Zukunft und Existenz unserer Kinder, welche die Unterdrückung des deutschen Schulwesens mit sich bringt, eingedenk zu sein der heldenhaften Kämpfe, welche andere Minderheiten in dieses heilige Gut, die Schule und die Zukunft der Jugend siegreich geführt hatten und keine Opfer und keine Arbeit zu scheuen und den Kindern dasjenige an Unterricht und Bildung zu ersetzen, was ihnen der Staat versagt.“

Nur wenige Wochen später ermutigt Kanonikus Michael Gamper (1885–1956) in einem seiner bekanntesten Artikel „Thusnelda“ im Volksboten vom 27. November 1924 die Eltern dazu, ihren Kindern selbst die deutsche Sprache zu lehren – und leitet damit die systematische Organisation von Notschulen ein, denn: 

„Mit der deutschen Sprache geht auch die deutsche Seele verloren. […] Ein entschiedenes und festes Wollen der Eltern, dann wird sich das Schlimmste verhüten lassen. […] daß du deutsche Mutter, dein Kind, wenn auch nicht mehr auf den Schoß, so doch unter deine Augen und deine Hände nehmen mußt, damit du des Kindes Auge übest im Lesen deutscher Schrift und seine Hand führest, die deutschen Schriftzeichen zu schreiben. Du kannst es nicht? Oder hast keine Zeit? […] dann sollen sich deine Kinder mit anderen, […] von einer gewesenen Lehrerin oder sonst einer Person, die sich auf die Kunst des Lesens und Schreibens wohl versteht, wenigstens den notdürftigsten Unterricht darin erhalten. Wenn mehrere Familien zusammenstehen, läßt sich ein solch häuslicher Unterreicht leicht bewerkstelligen. […] Noch etwas braucht es, um den Privatunterricht durchzuführen: Ein klein bißchen Mut! Nur ein klein bißchen.“

14.11.2024 - Maria Pichler

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