Vor 100 Jahren

Salurn heute
Quelle: Wikipedia

„Fahnenweihe in Salurn“

Wie in der in Bozen erscheinenden Zeitung „Tiroler Volksblatt“ vom 8. Februar 1922 berichtet, wurde die italienische Flagge in den Grundschulen von Salurn in Anwesenheit von Faschisten aus ganz Italien geweiht. Dies war deshalb bemerkenswert, da die faschistische Machtergreifung erst im Oktober desselben Jahres erfolgen sollte – dennoch zeigten die Faschisten in den „erlösten Gebieten“ Südtirol und Trentino ganz offen ihre Abneigung gegenüber den Traditionen der lokalen Bevölkerung.

Man liest in der Zeitung folgendes:


„Aus Salurn wird folgendes geschrieben: Am 29. Jänner fand die seit Monaten geplante Einweihung der von der Stadt Florenz, der hiesigen italienischen Schule geschenkten Fahne statt. Es erschienen dazu nicht bloβ von Florenz Fascisten und andere, sondern vom Trentino auf und auf bis Aichholz und inklusive Laag Vertretungen mit ihren Fahnen und Fähnlein, von der höchst einfachen Tricolore bis zur goldverbrämten reichgestickten schönen Fahne. Es mögen gegen 50 Fahnen gewesen sein. Schon vormittags ist der Fascist von Krutzenberg, ein Sohn des auch unter den Deutschen bis tief ins Ultental bekannten Weinhändlers von Kreutzenberg aus Aichholz herbeigeeilt und hat mit Hilfe des von Rovereto herbeigeeilten, früher dahier ansässigen Chiusole hoch oben auf den Häusern die Plakate angeklebt. Eben derselbe hat auch an den verschiedensten Häusern Papierstreifen der neuen Gassen- und Straβenbenennungen aufgeklebt. So zum Beispiel heiβt der Pfarrplatz jetzt Piazza di Garibaldi und die Straβe Strada di Dante. Da diese Aufschriften nur von Papier sind, dürften sie nur von kurzer Dauer sein.


[…]Nicht ganz pünktlich um 13.00 Uhr hielt man den Einzug; es mögen gegen 400 bis 500 Auswärtige gewesen sein, mit einigen Salurner, welche bei der letze Gemeindewahl durchgefallen sind. Es war ein buntes Bild von Fahnen und Fähnlein, groβ und klein, schöne und einfache; natürlich durfte die Fascistenfahne mit dem Totenkopf nicht fehlen.


[...]Ganz dem Auftrag gemäβ wurde eine Viertelstunde vor 13 Uhr geläutet. Doch war dieses machen jungen Herren viel zu wenig und sie eilten in der Sakristei und forderten stürmisch von Mesner den Turmschlüssel und nun wurde mit der einzigen Glocke bis zum Überdruβ geläutet, so daβ es manchen etwas ruhigdenkenden Herren zu dumm wurde und sie das weitere Läuten einstellten. Die übereifrigen Läuter haben sich aber damit revanchiert, daβ sie die Trauerfahne, welche anläβlich des Todes des Heiligen Vaters von Turme hing, von dort entfernten.


[…]Nach erfolgter Weihe, hielt Herr Prof. Pezzi eine kleine Ansprache, in der er unter anderem auch sagte, daβ die Italiener und die Deutschen und umgekehrt sich lieben und vertragen sollen; doch scheint die Ansprache nicht den wünschenswerten Eindruck gemacht zu haben, da so gegen ein Dutzend junger Burschen es auf den hochwürdigen Herrn Pfarrer abgesehen hatten und an denselben ihre Wut auslassen wollten, und derselbe wäre sicher nicht ungeschoren davon gekommen, wenn die Carabinieri sich nicht in sehr anerkennungswürdiger Weise energisch ins Mittel gelegt hätten und einem, der mit Stock und Revolver bewaffnet war, das Eintreten in dem Widum verwehrt hätten. So ging es mit einem ,,Abasso il parroco porco” gut ab.


Der ganze Fahnenweihetag, auf dem sich viele nicht ganz grundlos sorgten, ging gut ab. Die Hauptursache, daβ alles so gut abging, lag wohl nicht in der friedlichen Gesinnung vieler dieser fremden Leute, sondern in der wahrhaft musterhaften Haltung der Bevölkerung von Salurn.“

Astrid Panizza

panizza.astrid@gmail.com

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