Stimmen von jenseits des Brenners
Für Südtirol und das Trentino wurde die Gefahr faschistischer Repressalien immer größer, es zeichnete sich ab, dass schwere Zeiten bevorstehen würden – nur wenige Tage später sollte die faschistische Partei den „Marsch auf Bozen“ einleiten, der zum Sturz des letzten demokratisch gewählten Bürgermeisters der Stadt Bozen, Julius Perathoner, führte.
Die Zeitung „Il Nuovo Trentino“, deren Redaktion von Alcide Degasperi geleitet wurde, kommentiert am 27. September 1922 einen von der Tageszeitung „Der Tiroler“ publizierten Aufruf zu offenem Dialog im Sinne des Zusammenlebens, dass in der Region ein Klima des Hasses herrsche und es schwierig sei, friedliche Lösungen für diesen Konflikt zu finden. Die Schuld daran sieht der „Il Nuovo Trentino“ bei der deutschen Minderheit und der Zeitung „Der Tiroler“, der Vorgängerzeitung der heutigen Tageszeitung „Dolomiten“ und nimmt damit eine eindeutig minderheitenfeindliche Position ein. Hier der Artikel:
„Der Tiroler“ berichtet über den Beschluß der Faschisten, "sich zu einem Zentralkomitee zu konstituieren", sowie das Telegramm der deutschen Abgeordneten an On. Facta und äußert die Befürchtung, daß die Faschisten Repressalien erwägen, wobei die Zeitung meint, daß diese gegen ein wehrloses Volk wie das deutsche, "das nie versucht hat, sich irgendeiner Regierungsverfügung zu widersetzen", unvernünftig wären und auf jeden Fall genau das Gegenteil von dem bewirken würden, was die Faschisten wollten, nämlich eine Verhärtung der italienisch-deutschen Beziehungen wie nie zuvor. „Der Tiroler“ fordert, dass sich alle auf den Boden des Rechts begeben, auf dem seiner Meinung nach auch eine Diskussion über die von den Faschisten diskutierten Themen möglich ist.
Das ist alles schön und gut, lieber „Tiroler“, aber um eine Atmosphäre zu schaffen, in der Vereinbarungen getroffen werden können, müssen wir die Hasspropaganda und das provokative Verhalten stoppen, das „Der Tiroler“ selbst und einige seiner ihm nahestenden Abgeordneten gegen Italien betreiben und aufrechterhalten. Auch wir sind für friedliche und legale Lösungen, aber wir dürfen das Schicksal der Nationen nicht vergessen, so bedauerlich dieses auch sein mag; wenn also jeder das Recht hat, sich auf das Gesetz zu berufen, so hat auch jeder die Pflicht, nicht nur seine Formen, sondern auch seinen Geist zu respektieren.
Es scheint, dass die Vorankündigung faschistischer Aktionen auch jenseits des Brennerpasses Alarm ausgelöst hat, denn von Innsbruck aus werden Flugblätter in Richtung Süden geschickt, die in Großbuchstaben die italienische Regierung davor warnen, Gewalt zuzulassen, da sonst auch dort zu Repressalien gegriffen würde“.
Astrid Panizza
panizza.astrid@gmail.com