Vor 100 Jahren

Der Klockerkarkopf – von Tolomei mit „Vetta d’Italia“ übersetzt, ist Symbol der ungelösten Toponomastikfrage in Südtirol
Foto: Südtiroler Schützenbund

Toponomastik: „Eingriff in das Wesen und die Seele des Landes“

Einführung der italienischen Ortsnamen in Südtirol

Vor genau hundert Jahren hat das faschistische Italien mit dem königlichen Dekret vom 29. März 1923 jene italienischen Ortsnamen in Südtirol eingeführt, die Ettore Tolomei im „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ festgehalten hatte. Diese Namen sind bis heute amtlich, die deutschen und ladinischen historisch gewachsenen Bezeichnungen hingegen scheinen bislang in keinem Dekret oder Gesetz zur Südtiroler Toponomastik als offizielle Orts- und Flurnamen auf.  

Unter dem Titel „Die Vertilgung deutscher Ortsnamen.“ [sic] bewertet „Der Tiroler“ in seiner Ausgabe vom 1. Mai 1923 die willkürliche Umbenennung der deutschen Ortsnamen. Der Artikel wird an dieser Stelle vollinhaltlich zitiert: 

„Nun müssen die deutschen Ortsnamen in Südtirol verschwinden. So bestimmt es das königliche Dekret. Uralte deutsche Namen müssen neuen italienischen Platz machen. Denn man will den einheitlichen Charakter Südtirols verwischen; man will im Auslande den Eindruck erwecken, Südtirol sei nach seiner Geschichte und seiner Besiedlung von jeher italienisches Land gewesen. Das Deutschtum soll zurückgedrängt werden. So nimmt es den Anschein, als wären wir innerhalb der Staatsgrenzen als Fremde betrachtet, als sähe man im Festhalten an unserem völkischen Wesen eine Gegnerschaft gegen die höchsten Interessen des Staates, als wären wir selbst nur Bürger zweiter Ordnung.  

Durch die Umbenennung der Orte, wie sie das königliche Dekret bestimmt, wird mit Gewalt ein Stück Tiroler Geschichte zerschnitten. Es ist ein Eingriff der Willkür in geschichtliche Gegebenheiten. Ortschaften, die nie italienisch waren, sollen nun auf einmal einen anderen Namen tragen. Auch das Land, auch die Ortschaft hat wie jeder Mensch ein unbedingtes Recht auf seinen Namen.  

Viele dieser neuen Bezeichnungen sind einfach unverständlich, manche übersetzt und manche – gibt man vor – seien aus der Historie geschöpft worden.  

Es gibt in Südtirol Namen, auf die nicht nur die enger umgrenzte Heimat ein unantastbares Recht hat, sondern die auch im Auslande einen vollen Klang haben und bei deren Nennung eine Vorstellung von bestimmter Prägung auftaucht, sei es ein Stück unserer ruhmreichen Geschichte, irgend einer Eigenart unseres Wesens, oder sei es irgend ein Gut der Natur, das mit diesem bestimmten Namen verbunden ist.  

Es handelt sich bei dieser Umbenennung nicht etwa bloß um eine äußerliche, technische Umstellung, um eine bloße Aenderung [sic] einer geographischen Bezeichnung, sondern es handelt sich hier tatsächlich um einen Eingriff in das Wesen und die Seele des Landes und der Landschaft, um einen Eingriff auch in die nationalen Güter unseres Volkes. Denn unsere Ortsnamen sind nicht willkürlich entstanden. Sie lassen sich auch nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen, da sie mit der ganzen Entwicklung und mit dem Leben, Fühlen und Denken unseres Volkes verknüpft, ein Teil unseres Wesens geworden sind.  

So soll Stück um Stück unseres Deutschtums fallen.  

Das Dekret bestimmt, wie wir schon gestern berichtet haben, daß von nun an alle Staatsbehörden und Verwaltungen und andere Behörden, deren Amtssprache die italienische ist, die im Verzeichnis angeführten Namen gebrauchen müssen. Der zweite Name, also der deutsche, darf nur in Klammern hinzugefügt werden, falls es die Behörden für gut befinden. Nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen dürften die Behörden es wohl kaum jemals für gut befinden, auch den deutschen Namen zu gebrauchen. Auch jene Aemter [sic], die ‚ermächtigt‘ sind, sich der deutschen Sprache zu bedienen, müssen die im Verzeichnisse angeführten beiden Namen verwenden, wobei der italienische an erster Stelle und der deutsche eingeklammert an zweiter Stelle stehen muss.  

Damit soll nun Südtirol ein anderes Gesicht gekommen. Immer enger und enger wird das Deutschtum eingeschnürt, bis es vielleicht einmal seine Pflege nur mehr im Kreise der Familie findet. Aber eben von hier aus, […] an seiner lebendigsten Quelle, wird es erstarken und am Widerstande, der im von außen begegnet, wachsen.  

04.05.2023 - Maria Pichler

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