Vor 100 Jahren

Volksschulklasse Niederolang: Die letzten Kinder, die noch unter Österreich geboren wurden mit Pfarrer Leopold Wallnöfer (Bildmitte) vor dem Gasthaus Steurer
Quelle: Archiv Alexander Bovo, aus Pfeifhofer, K. u.a. (2023). Die Deutschen brauchen keine Schulen. Effekt! Buch

„Wendepunkt in Südtirol?“

Mussolini ordnet Religionsunterricht in deutscher Sprache an

Nach den wirkungslosen Protesten der Südtiroler Mütter, die sich für den Erhalt der deutschen Schulen in Südtirol stark machten (Link Artikel 2.11.), spricht um Weihnachten 1923 eine Delegation von Südtiroler Bürgermeistern beim Ministerpräsidenten Benito Mussolini in Rom vor. Dieser sagt zu, dass der Religionsunterricht in Südtirol in der deutschen Muttersprache erteilt werden könne. Der Tiroler Anzeiger wittert in seinem Resümee zum Besuch der Bürgermeister in Rom am 27. Dezember 1923 einen „Wendepunkt in Südtirol“ und berichtet: 

„Der römische Korrespondent des ‚Landsmann‘ berichtet über die Audienz der Südtiroler Bürgermeister bei Mussolini noch folgende Einzelheiten: […] Bezüglich der Schulfrage erklärte er, er habe gemeinsam mit dem Unterrichtsminister Gentile bereits angeordnet, daß der Religionsunterricht in der Muttersprache erteilt werde, weitere Konzessionen könne er nicht machen.  […]

Der Unterschied in der Haltung zwischen der ‚starken Regierung in Rom‘ und der Nebenregierung in Trient wird, wie ‚der Nuovo Trentino‘ erkennen läßt, mehr in der Methode als in den Grundsätzen bestehen. Das genannte Blatt schreibt: ‚Im Allgemeinen läßt sich voraussehen, daß die Sprachenpolitik in den neuen Provinzen von jetzt ab einen etwas vorsichtigeren Schritt annehmen wird, zumal der Ministerpräsident beim Abschluß der mit den Präfekten abgehaltenen Konferenzen in Anwesenheit des Generaldirektors des Außenministeriums jegliche Entscheidung zu diesen Fragen sich selbst vorbehalten hat.‘ […]

Die Trientner Faschisten, die neulich erst darüber gehöhnt hatten, daß Mussolini die Proteste der Deutschen unbeachtet lasse, sind über die neueste Wendung bestürzt. Wie aus dem Häuschen geraten[,] tobt ihr ‚Piccolo Posto‘: ‚Aus Rom meldet man uns von Kommissionsempfängen durch Minister und ebenso die schwierigende [sic!] Meldung, daß die Maßnahme bezüglich des Religionsunterrichtes in italienischer Sprache in den Schulen in diesen Tagen widerrufen werden wird. Wir enthalten uns absichtlich von einem Kommentar einer solchen Maßnahme, können aber nicht umhin festzustellen und fest zu nageln, daß die Konzession nach einer Straßendemonstration und nach einer furchtbaren Kampagne der fremdsprachigen und deutschen Presse außerhalb des Brenners gemacht wurde. […] Sie [die Regierung] soll die Optionen revidieren und alle Advokaten, Doktoren, Professoren, Geistliche[n], die kein Recht haben, im Oberetsch zu bleiben, nach Hause schicken; sie soll ohne Erbarmen alle jene Staatsbeamten strafen, die irgend wie an einer antiitalienischen oder gegen die Anordnung der Behörde gerichteten Aktion teilnehmen; sie soll alle Gemeinderäte des Oberetsch auflösen, die zum Schaden Italiens arbeiten und dorthin Regierungskommissäre schicken, sie mache ein für allemal klar, daß es in Italien nur eine Regierung gibt, und zwar die von Rom und daß der, der sich ihr widersetzt, das büßt. Wenn man in Rom irgendwie der Bevölkerung gegenüber nachgibt, und sei es auch nur im kleinsten Teile, so wird das Ansehen des Deutschen Verbandes steigen und die Früchte werden in allernächster Zukunft zu ernten sein‘.“

 

28.12.2023 - Maria Pichler

 

 

 

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