„Amerikanische Tiroler” feiern in Chicago
„In lustiger Fröhlichkeit und ernster Unterhaltung“
Im 19. Jahrhundert verließen viele Tirolerinnen und Tiroler ihre Heimat in Richtung Vereinigte Staaten. Chicago – ein Zentrum der deutschen Einwanderung in Nordamerika – zählte dabei auch für die Tiroler Auswandererfamilien zu den bevorzugten Zielen. Fern der Heimat gründeten die „Amerikanischen Tiroler“ Heimatvereine und organisierten regelmäßig Zusammenkünfte und Feste. Von einem solchen Heimatfest berichten die Innsbrucker Nachrichten in ihrer Ausgabe vom 11. Februar 1924:
„Der folgende Brief aus Chicago vom 16. Jänner möge beweisen, daß fern der Heimat die Tiroler und Vorarlberger in lustiger Fröhlichkeit und ernster Unterhaltung sich vereinen, um die Liebe zur Heimat zu betonen und um dem Vaterland auch in der Fremde nach besten Kräften zu dienen. Für manche Leser, die über dem Großen Wasser liebe Angehörige wissen, wird der Brief ein besonderes Interesse haben:
Am Sonntag den 13. Jänner hatte der weltbekannte Zithervirtuose und Dirigent des Tiroler Männerchores Meister Godez seine Sänger in das gastliche Haus Irnka zu einem fidelen Familienabend gebeten, wozu auch der Präsident der vereinigten österreichisch-ungarischen Vereine von Nord-Amerika Dr. Kobalter, klinischer Laboratorien-Direktor, erschien und mit herzlichem Sängergruß bewillkommt wurde. Den Höhepunkt des reichhaltigen Programms bildete das Auftreten der Prutzer Staats-, Hof- und Gemeindemusikanten mit ihrem tüchtigen Kapellmeister, dem ‚Tiroler Onkel‘, der sich auch als großer Schnurren-Komiker entpuppte. Die Musikanten waren alle in Original-Prutzer Dorfkostümen, die Uniform des Kapellmeisters aus dem Jahr 1809.“
Es wurde bei diesem Heimatfest aber nicht nur gefeiert, sondern auch politisiert:
„Dr. Kobalter forderte seine lieben Tiroler auf, stets treu zusammenzuhalten, da nur in der Eintracht und im Mittun aller alten Landsleute die Einigkeitsbestrebungen uns auch hier unseren Zielen näherbringen. ‚Wir sollen‘, so führte Dr. Kobalter aus, ‚nicht nur stets und allerwegen der alten Heimat gedenken, sondern vor allem daran, daß wir Deutsche sind, Abkömmlinge des großen deutschen Edelvolkes, das heute darniederliegt und mehr denn je unserer finanziellen und moralischen Unterstützung bedarf. […]Laßt uns auch stets eingedenk sein der unerlösten deutschen Stammesgenossen in schnöde geraubten heimatlichen Gebieten. Wir werden diese Brüder nie vergessen und das soll ihnen jederzeit ein Trost und eine stille Hoffnung sein. Der Herrgott wird auch mit den deutschen Südtirolern noch einmal bessere Einsicht haben, wenn ihnen heute auch gegen den Friedensvertrag verboten wird, zum deutschen Gott der altangesessenen Tiroler auch deutsch zu beten. Warum beten denn die Italiener in Amerika zu ihrem Gott nicht in englischer Sprache, sondern in italienischer? [...]’”
Kuriosum am Rande: Auch zahlreiche Einwohner des Trentino (bis 1918 Teil des österreichisch-ungarischen Tirols) wanderten vor und nach dem Ersten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten aus. In den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg (aber auch danach) gab es unter den Trentinern in Amerika eine heftige Debatte darüber, ob sie sich weiterhin „Tiroler“ nennen oder den Begriff „Trentiner“ verwenden sollten. Im Jahr 1976 wurde die Organisation der Vereinigungen der Trentiner in Amerika mit dem Namen „The International Tyrolean Trentino Organization of North America“ (ITTONA) gegründet.
15.02.2024 - Maria Pichler