Schule und Krieg
Mag. Hartwig Musenbichler, Universitäts- und Landesbibliothek Innsbruck
Die Schulen bildeten mit Fortdauer des Krieges eine geeignete Institution, um die Jugend für den Krieg zu begeistern und dadurch zu instrumentalisieren. Zwei Überlegungen standen dabei im Vordergrund: Einerseits der als wichtig erachtete angeblich erzieherische Wert des Krieges, der aus der Jugend eine Elite-Generation machen sollte, andererseits der volkswirtschaftliche Aspekt als konkreter bzw. praktischer patriotischer Beitrag zur vermeintlichen Verteidigung von „Gott, Kaiser und Vaterland". Die ‚Schulfront‘ wurde somit allmählich zu einem Teil der ‚Heimatfront‘ und rückte dadurch immer stärker in das Blickfeld der zivilen und militärischen Behörden.
Schon einige Tage nach Kriegsbeginn ergingen an sämtliche Landesschulräte vom Ministerium für Kultus und Unterricht Richtlinien, die die Heranziehung der Schulkinder für gemeinnützige Tätigkeiten regelten. Dies betraf vor allem diverse Geld- und Kräutersammelaktionen sowie die Mithilfe bei Verwundetentransporten, Kranken- und Labedienste, aber auch Strick- und Näharbeiten für die Soldaten an der Front. Ein wichtiger Dienst während des Krieges war die Mitarbeit in der Landwirtschaft, um den dort herrschenden massiven Arbeitskräftemangel einigermaßen ausgleichen zu können.
Darüber hinaus legten die Unterrichtsbehörden sehr viel Gewicht auf eine militärisch-patriotische Erziehung. In entsprechenden Erlässen wiesen sie die Lehrer an, der Schuljugend das Wesen der militärischen Organisationen zu erläutern. Im Laufe des Krieges wurde die vormilitärische Erziehung in Form von Exerzierübungen und Geländespielen vermehrt in den Schulbetrieb integriert. Um die staatlichen Vorgaben für einen militaristisch-patriotischen Unterricht erfüllen zu können, mussten die Schul- und Lehrbücher dahingehend adaptiert und die Lehrpersonen teilweise umgeschult werden. Vor allem in den italienischsprachigen Teilen Tirols erfolgte eine sehr genaue Kontrolle der Schulen. Allein die bloße Erwähnung etwa reichsitalienischer Personen- oder Ortsnamen im Unterricht war unerwünscht. Auf diese Weise versuchten die österreichischen Schul- und Militärbehörden, irredentistisches Gedankengut von der italienischsprachigen Schuljugend fernzuhalten, um diese so zu aufrechten österreichischen Patrioten zu erziehen.
Der Krieg beeinflusste nicht nur die Lehrinhalte, sondern auch die räumliche und organisatorische Situation in den Tiroler Schulen. Schon bald nach Kriegsbeginn beanspruchte das Militär zahlreiche Schulgebäude und Turnsäle als Unterkünfte für die Soldaten. Nach dem Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 verschärfte sich die räumliche Situation in dramatischer Weise. Volksschulen, Bürgerschulen und Gymnasien mussten geräumt und den Militärbehörden für militärische oder sanitäre Zwecke überlassen werden. Besonders prekär stellte sich die Lage im italienischsprachigen Teil Tirols dar. Im Trentino wurden nach dem 25. Mai 1915 sämtliche Bewohner der Gebiete südlich von Lavis, des Terlagosees und von Rosta, der nördlichen Zone von Aldeno, Vigolo Vattaro, sowie der Hochebenen von Folgaria, Lavarone und Lusern evakuiert. Da in Tirol aber nur ein sehr geringer Teil der evakuierten Flüchtlinge aufgenommen werden konnte, wurden die meisten von ihnen in die nördlichen und östlichen Kronländer verbracht und dort in Lagern interniert. Die Hauptaufnahmegebiete lagen in Ober- und Niederösterreich, in Böhmen und Mähren, in der Steiermark und in Salzburg. Für Kinder bis zum Alter von drei Jahren sah das Ministerium des Inneren die Unterbringung in bestehenden Krippen vor. Kinder im vorschulpflichtigen Alter sollten in Kindergärten oder Kinderbewahranstalten unterkommen. Für die Schulkinder der Flüchtlinge sah das Ministerium den Schulbesuch in den Volkschulen der Umgebung oder in den zu errichtenden Lagerschulen vor.
Unter diesen widrigen Umständen war an einen regulären Unterricht - sei es in der Heimat oder auch in der Fremde - nicht zu denken. Darüber hinaus mangelte es sehr bald an männlichen Lehrkräften, die den Einberufungen Folge leisten mussten. Die Schulbehörden versuchten diese Lücken mit bereits pensionierten Lehrern, aber auch mit weiblichen Lehrpersonen zu füllen. Auch die Kinder und Jugendlichen bekamen somit die Auswirkungen des Krieges zu spüren. Requirierte Schulen, verkürzte Unterrichtszeiten, provisorische Lagerschulen, materielle Not und ein von den Stereotypen der Kriegspropaganda durchsetzter Lehrstoff prägten diese Generation der Schüler von 1914.